Genfer Hightech-Salat
In Perly im Kanton Genf wächst der Salat in der Luft. Auf seinem ultravernetzten Betrieb experimentiert Jeremy Blondi...
Das im Jahr 2018 gegründete Start-up-Unternehmen MYIA SA, ursprünglich unter dem Namen Ticinsect bekannt, hat sich auf die Zucht und Verarbeitung von Insekten spezialisiert: Im Mittelpunkt des Produktionszyklus steht die Zucht der Hermetia illucens – auch bekannt als Schwarze Soldatenfliege. Die Fliegen werden in einem geschlossenen System gezüchtet und zeichnen sich durch einen schnellen Stoffwechsel, kurze Lebensdauer und hohe Reproduktionsraten aus. Dies macht sie zu idealen Kandidaten für die Umwandlung von organischen Abfällen in wertvolle Ressourcen. Die Mission der MYIA besteht unter anderem darin, Abfälle der Agrar- und Lebensmittelindustrie in Tierfutter umzuwandeln.
Gründerin Elisa Filippi erkannte das Potential der Schwarzen Soldatenfliege zur Biokonvertierung von organischen Abfällen während ihrer Studien zur Tierproduktion. Sie sah eine Möglichkeit, auch in der Schweiz eine solche Zucht aufzubauen. «In Europa ist diese Tätigkeit bereits weit verbreitet und die bedeutenden Investitionen in diesem Sektor zeigen die Bedeutung, Funktionalität und strategische Bedeutung gerade auch in der Futtermittelbranche», erklärt CEO Michele Orsi.
Mit der Teilnahme an der ersten Ausgabe der Boldbrain-Startup-Challenge, einem Wettbewerb für Start-ups und dem Gewinn des dritten Preises, hat das Biokonversionssystem auch das Interesse potentieller Investoren geweckt. Dies habe dem Projekt Sichtbarkeit und den nötigen Impuls gegeben, um eine kleine Pilotanlage zu realisieren und das spezifische Knowhow für den gesamten Prozess aufzubauen. In den letzten Jahren wurde die MYIA SA dann von Innosuisse und dem Kanton aktiv unterstützt und hat verschiedene Forschungsprojekte unter anderem mit der ETH und mit europäischen Partnern im Rahmen des Eurostars-Programms initiiert. Kürzlich erhielt MYIA SA auch die Zulassung für die Herstellung und den Verkauf eines Düngemittels, das aus der Vermehrung der Schwarzen Soldatenfliege gewonnen wird und bodenverbessernde Eigenschaften hat. Die endgültige Genehmigung für die Herstellung und den Verkauf von Eiweiss für Tierfutter, die uns als vorläufig gilt, wird in den kommenden Monaten erwartet.
Derzeit laufen die Ingenieurarbeiten für den Bau der ersten automatischen Anlage in Biasca, Tessin. Die Inbetriebnahme ist für Ende 2024 geplant. «Dank der sorgfältigen Auswahl und Verarbeitung der zu behandelnden Substrate und der Standardisierung und Automatisierung des Biokonversionsprozesses wird diese Anlage es uns ermöglichen, sehr hochwertige, standardisierte und konsistente Produkte zu erhalten, die uns gegenüber anderen Betreibern in Europa sehr wettbewerbsfähig machen», erklärt Michele Orsi.
«Unser Rohstoff sind biologische Abfälle von der lokalen Lebensmittelindustrie, die wir als Futter für die von uns gezüchteten Insekten verwenden», erläutert er weiter. Die Schwarzen Soldatenfliegen haben einen extrem schnellen Stoffwechsel, eine sehr kurze Lebensdauer von nur zwei Wochen und ausserdem eine hohe Reproduktionsrate. Nach nur zwei Wochen werden die aus den Eiern geschlüpften Larven verarbeitet und gemahlen, um ein ökologisch nachhaltiges Insektenproteinmehl zu produzieren, das zur Fütterung von Nutztieren geeignet ist. Zudem werden Nebenprodukte wie Dünger für die Landwirtschaft oder Öl für Biokraftstoffe gewonnen.
So wird Frass – das von den Larven nicht gefressene Substrat zusammen mit ihren Exkrementen – gesammelt und zu Dünger und Bodenverbesserer weiterverarbeitet. Aus den Larven werden Eiweiss, Öl und Chitin extrahiert. Proteinmehl und -öl sind als Produkte für die Futtermittelindustrie sowohl als Nahrung für Haustiere als auch für die Viehzucht angedacht, während Chitin ein ausgezeichneter Rohstoff für Mode und Kosmetik.
Die Herausforderung ist nun, zur industriellen Produktion überzugehen. «Wir befinden uns in einem Land, in dem Boden teuer und die Produktionskosten hoch sind – daher ist es notwendig, eine unseren Prozess so weit wie möglich zu planen und zu automatisieren, um diese Aufgabe erfolgreich zu erledigen», erklärt Michele Orsi. Zu diesem Zweck ist in Biasca darum auch eine vertikale Produktion mit einem höchstmöglichen Grad an Prozessautomatisierung geplant, um maximale betriebliche Effizienz zu erreichen.
MYIA SA wird allerdings erst ab Ende dieses Jahres mit einer nennenswerten Produktion rechnen können. «Derzeit haben wir damit begonnen, erste Kontakte zu potentiellen Kunden aus der Landwirtschaft zu knüpfen, um gezielt auf deren Bedürfnisse einzugehen und sie optimal bedienen zu können», erläutert Michele Orsi.
Parallel zum Bau der Industrieanlage arbeitet das Start-up daran, Partnerschaften in der Schweiz aufzubauen. «Unsere Futtermittel haben ein ideales Nährwertprofil, darüber hinaus hat Frass einen äusserst attraktiven Gehalt an Makro- und Mininährstoffen und eine hohe Kapazität zur Regeneration landwirtschaftlicher Böden», sagt Michele Orsi. Das Ziel sei es, der wichtigste Ansprechpartner für die Insektenfutter- und Düngemittelbranche in der Schweiz zu werden. «Wir glauben, dass das Potential dieser Produkte enorm ist und dass unser Land nachhaltige, lokale und sichere Lösungen braucht, damit Landwirtinnen und Landwirte ihrem Beruf nachgehen können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Unabhängigkeit beispielsweise durch Unterbrüche in der Versorgungskette oder Preiserhöhungen untergraben wird», ergänzt er.
Derzeit würden die Produkte in einer Reihe von «Feldtests» erprobt, die nach ersten Erkenntnissen dann auch deren Potential verdeutlichen sollen. «Unser Ziel ist es, die Landwirtschaft und die Viehzucht in der Schweiz zu unterstützen, indem es lokale Rohstoffe liefert und so dazu beiträgt, die Abhängigkeit von Drittländern zu verringern, um die ökologischen Probleme, welche die derzeitige Proteinproduktion in anderen Ländern verursacht, positiv zu beeinflussen», erläutert Michele Orsi weiter. So solle das Unternehmen Teil der Entwicklung des Primärsektors hin zu einer grösseren Widerstandsfähigkeit und gleichzeitig nachhaltigeren Produktion sein. «Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass Nährstoffe zurückgewonnen werden können, statt weggeworfen zu werden und dass Tiere mit hier produzierten Insektenproteinen gefüttert werden können», so Michele Orsi.
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