Was ist regenerative Landwirtschaft und wie hilft sie der Bodengesundheit?

Alle reden von regenerativer Landwirtschaft. Aber jeder versteht darunter etwas anderes. Wieso braucht es regenerative Landwirtschaft? Was ist Bodengesundheit? Wie unterscheidet sich regenerative Landwirtschaft von integrierter Produktion, Bio und Demeter?
Zuletzt aktualisiert am 17. Januar 2025
von Jürg Vollmer
5 Minuten Lesedauer
Regenerative Landwirtschaft Bodenprobe 03

Regenerative Landwirtschaft ist ein Hype-Begriff wie Nachhaltigkeit oder Biodiversität. Alle reden davon. Aber kaum eine Konsumentin und ein Konsument weiss, was regenerative Landwirtschaft bedeutet. Und selbst für viele Landwirtinnen und Landwirte ist regenerative Landwirtschaft ein Buch mit sieben Siegeln.

Dabei ist die regenerative Landwirtschaft ein spannendes Abenteuer, bei dem wir die Geheimnisse des Bodens erleben und entdecken können.

Vor allem Siedlungen und Strassen zerstören Landwirtschaftsflächen

Der Boden ist das natürliche Kapital für unsere Landwirtschaft. Vor allem Siedlungen und Strassen zerstören dieses: Die Schweiz verliert jährlich 3’300 Hektaren Landwirtschaftsfläche. Täglich sind dies 9 Hektaren oder 90’000 Quadratmeter (13 Fussballfelder).

Und die übrig bleibende Landwirtschaftsfläche wird als Folge von intensiver Landwirtschaft durch Erosion, Bodenverdichtung und Schadstoffbelastungen irreversibel beschädigt.

Ist der Boden einmal weg, dauert es lange, bis dieser Schaden wieder behoben ist. Für die natürliche Entwicklung von 1 Zentimeter funktionsfähigen Boden (ohne regenerative Landwirtschaft) braucht es 100 Jahre.

Untersaat durchwurzelt den Boden

Ein Bauernhof produziert heute bis 35-Mal mehr Lebensmittel als vor 125 Jahren

Die Landwirtschaft musste sich seit dem Jahr 1900 intensivieren, um mit einer starken Produktivitätssteigerung das rasante Bevölkerungswachstum zu kompensieren. In konkreten Zahlen: Die Schweiz zählte im Jahr 1900 rund 3,3 Millionen Einwohner, heute 9 Millionen (+173 Prozent).

Ein Bauernhof ernährte im Jahr 1900 höchstens zehn Schweizer. Im Jahr 2025 sind es bis 180 Schweizer, also 18-Mal mehr Menschen.

Möglich machten die  Produktivitätssteigerung, die Mechanisierung der Landwirtschaft, mineralische Kunstdünger (Stickstoffdünger) und Pflanzenschutzmittel sowie Züchtungserfolge.

Heute wissen wir: Diese  Produktivitätssteigerung hat auch negative Effekte auf die Gesundheit der Nutztiere und Nutzpflanzen, auf die Biodiversität (Artenvielfalt) und vor allem – auf die Gesundheit des Bodens.

Wurzeln der Gründüngung

Regenerative Landwirtschaft kombiniert traditionelle Landwirtschaft mit moderner Wissenschaft und Technologien

Um zu verstehen, wie die Bodengesundheit wieder «aufgebaut» werden kann, schauen wir zurück auf die traditionelle Landwirtschaft im Jahr 1900:

  • Die traditionelle Landwirtschaft war auf geschlossene Kreisläufe ausgerichtet: Viehhaltung, Pflanzenbau und Bodenpflege waren eng miteinander verbunden. Nur die eigene Gülle und Mist dienten als Dünger (deshalb die Bezeichnung Hofdünger) und nichts wurde verschwendet.
  • Mit traditionellen Techniken wurde die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Dazu gehören die Fruchtfolge (verschiedene Kulturen nacheinander auf demselben Feld), die Gründüngung (Pflanzenarten wie Klee, Lupinen und Senf werden nicht geerntet, sondern gemulcht oder untergepflügt) und das Einbringen organischer Materialien in den Boden.
  • Die Bauern bauten Mischkulturen an (mehrere Kulturen gleichzeitig auf demselben Feld) und generell eine grosse Vielfalt an Nutzpflanzen. Sie berücksichtigten die lokalen Bodentypen, das Klima und die Ökosysteme und nutzten alle Ressourcen sparsam.

Die regenerative Landwirtschaft nutzt diese traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken wieder und kombiniert sie pragmatisch mit moderner Wissenschaft und Technologien. Sie integriert dabei Ideen aus konventioneller Landwirtschaft, Bio-Landwirtschaft, Permakultur, Agrarökologie, Agroforstwirtschaft und Renaturierungsökologie:

  • Nach 125 Jahren Intensivierung der Landwirtschaft genügt es nicht mehr, den verbliebenen Boden zu erhalten. Der Boden muss wieder «aufgebaut» werden.
  • Mit der regenerativen Landwirtschaft soll der Boden wieder die Struktur, Gesundheit und Fruchtbarkeit erhalten wie im Jahr 1900.
  • Die regenerative Landwirtschaft reichert den Boden wieder mit Humus an (fein zersetzte organische Substanz). Weil gesunder Boden das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid CO₂ speichert, wird damit auch der Klimawandel abgeschwächt.
Regenwurm im Boden

Wie stark ist die regenerative Landwirtschaft 2025 in der Schweiz verbreitet?

In den 1980er-Jahren prägte der US-amerikanische Agrar-Pionier Robert Rodale den Begriff regenerative Landwirtschaft. «Regenerative agriculture» war seine Antwort auf die schädlichen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft.

Ab 2010 stellten die ersten Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf regenerative Landwirtschaft um.

Aktuelle Daten über den Anteil der regenerativen Landwirtschaft an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in unseren Nachbarländern gibt es nicht. Gemäss Schätzungen von Branchenkennern sind es:

  • Deutschland: 50’000 Hektar
  • Italien: 5000 Hektar
  • Österreich: 2400 Hektar
  • Schweiz: 2000 Hektar

«Einerseits hinkt die Schweizer Landwirtschaft hinterher, weil sie extrem träge ist. Der Grund dafür ist, dass sich der Staat viel zu stark in den Alltag der Bauern einmischt. Das hemmt jegliche Dynamik», erklärt Martin Jucker diesen Rückstand. Die Jucker Farm in Seegräben ZH ist mit über 100 Hektar einer der grössten Schweizer Landwirtschaftsbetriebe, die regenerative Landwirtschaft betreiben.

«Anderseits ist die Schweizer Landwirtschaft nie so destruktiv mit ihren Böden umgegangen, wie zum Beispiel die Agrarkonzern-Farmer in den USA.» Deshalb sei der Leidensdruck hierzulande noch weniger gross. «Die mit regenerativer Landwirtschaft bewirtschafteten Flächen werden in den kommenden Jahren aber weiter zunehmen.»

Regenerative Landwirtschaft Bodenprobe 01
Mit der regenerativen Landwirtschaft reichern Landwirte den Boden mit Humus an, also mit der fein zersetzten organischen Substanz eines Bodens. (jvo)

Regenerative Landwirtschaft im Vergleich mit IP-Suisse, Bio Suisse und Demeter

Welche Gemeinsamkeiten hat die regenerative Landwirtschaft mit den bekannten landwirtschaftlichen Praktiken? Welche Unterschiede trennen die regenerative Landwirtschaft von IP-Suisse (integrierter Produktion), Bio Suisse und Demeter?

Gemeinsamkeiten: 

  • Alle Praktiken streben eine nachhaltige Landwirtschaft an. Nachhaltig in dem Sinne, dass sie Umwelt, Böden und Ökosysteme schützt und regeneriert.
  • Alle Praktiken vermeiden weitgehend bis vollständig den Einsatz von synthetischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln.
  • Alle Praktiken setzen häufig Methoden wie Kompostierung, Fruchtfolge und Mulchen zum Schutz und der Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit ein.
  • Alle Praktiken legen Wert auf die Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und Wildtieren.
  • Alle Praktiken betrachten die Landwirtschaft nicht nur als Nahrungsmittelproduktion, sondern als Teil eines umfassenden Ökosystems.
  • Alle Praktiken halten Nutztiere in artgerechter Weise, wobei die Richtlinien von IP-Suisse, Bio und Demeter strenge Standards für Tierhaltung haben.
  • Für alle Praktiken sind regionale Kreisläufe und kurze Lieferketten zentrale Elemente, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Unterschiede: 

  • Die regenerative Landwirtschaft ist praxisnah und ergebnisorientiert, ohne eine einheitliche Philosophie oder Ideologie. Sie hat kein festes Regelwerk und keine einheitliche Zertifizierung. Die Methoden können flexibel angepasst werden und variieren stark zwischen den Betrieben. Die regenerative Landwirtschaft fokussiert auf Bodenaufbau und Klimaschutz durch Humusbildung.
  • IP-Suisse ist ein nachhaltiger Ansatz, der ökologische und ökonomische Ziele miteinander verbindet. Sie basiert auf klar definierten Richtlinien. Im Unterschied zu Bio Suisse- oder Demeter-Standards erlaubt IP-Suisse gezielte Eingriffe, um wirtschaftliche Rentabilität und Nachhaltigkeit gleichermassen sicherzustellen.
  • Bio Suisse basiert auf rechtsverbindlichen vereinseigenen Regeln. Der Fokus liegt auf nachhaltigen, umweltfreundlichen Standards für Produktion und Verarbeitung.
  • Demeter hat noch strengere Vorgaben als Bio Suisse, zum Beispiel die Pflicht zur biodynamischen Präparatverwendung und zum geschlossenen Hofkreislauf. Demeter ist tief in der anthroposophischen Philosophie von Rudolf Steiner verwurzelt. Demeter integriert spirituelle und kosmische Elemente wie den Einsatz von biodynamischen Präparaten.