Mit der Nase im Acker

Regenerative Landwirte fahren nicht mit dem Pflug über ihren Acker. Sie lesen den Boden mit Spaten und Bodenstechsonde. Ein lebendiger Boden duftet, krümelt, atmet. Eine Spurensuche mit allen Sinnen.
Zuletzt aktualisiert am 9. April 2025
von Jürg Vollmer
5 Minuten Lesedauer
Regenerative Landwirtschaft Axel Vohwinkel Bodenprobe Spaten Jvo

Ein Spatenstich – mehr braucht Axel Vohwinkel nicht, um zu wissen, wie es dem Boden geht. Die Spatenprobe gibt ihm einen Einblick in die Bodenphysik und Bodenbiologie, die chemische Analyse folgt später.

An diesem eiskalten Frühlingsmorgen kniet Axel Vohwinkel auf einem Acker in Rafz, im nördlichsten Zipfel des Kantons Zürich, direkt an der Grenze zu Deutschland. Nebel liegt über dem Feld, die Bise pfeift uns um die Ohren.

Axel Vohwinkel greift eine Handvoll Erde vom Spaten und hält sie an die Nase. «Wir müssen den Boden in die Hände nehmen, daran riechen.» Er riecht. «Wenn die Erde intensiv nach Waldboden duftet, ist der Boden mikrobiell belebt.»

Am Erdboden riechen? Die Ackerkrume mit Brotteig vergleichen? Klingt ungewöhnlich. Aber Axel Vohwinkel ist kein Romantiker, sondern ein erfahrener und bodenständiger Landwirt.

Der stämmige Norddeutsche leitete Grossbetriebe mit bis zu 6’500 Hektar – das entspricht 100 deutschen oder über 300 Schweizer Bauernhöfen – und berät heute europaweit Landwirtschaftsbetriebe zur Bodenentwicklung und wirtschaftlich tragfähigem Pflanzenbau.

Regenerative Landwirtschaft Axel Vohwinkel Bodenprobe Riechen Jvo
Axel Vohwinkel ist überzeugt, dass man den Boden zuerst mit den Füssen, dann mit den Händen und erst zuletzt mit dem Kopf lesen kann. (jvo)

Zuerst wird die Bodenqualität mit der Spatenprobe beurteilt

Zuerst beurteilt Axel Vohwinkel die Bodenprobe mit der Spatenprobe – auf Bodenart, Gefügestabilität, Durchwurzelung und Porenvolumen. Ergänzend folgt eine chemische Analyse.

Für die Bodenqualität nutzt der Landwirt ein anschauliches Bild: «Der Boden ist wie ein Kühlschrank, in dem die Nährstoffe gespeichert sind, welche die Pflanze dem Boden entnimmt. Mit organischen Substanzen wie Wurzeln, Pflanzenresten und mit der Förderung des Bodenlebens – dem Mikrobiom – füllen wir den Kühlschrank mit pflanzenverfügbaren Nährstoffen.»

Das Bodenleben spielt in der regenerativen Landwirtschaft eine zentrale Rolle. Nicht nur im Humusaufbau und -umbau, sondern auch in einer ausgewogenen Pflanzenernährung, durch die sich industrielle Dünger und Pflanzenschutzmittel reduzieren lassen.

Wird intensiv gepflügt und überdüngt, werden keine Zwischenfrüchte wie Lupinen, Raps oder Buchweizen als Gründüngung zugeführt und kein Humus aufgebaut, verliert der Boden wertvolle Eigenschaften.

Denn Humus kann Wetterextreme wie Starkregen und Hitzeperioden besser abpuffern:

  • Der Boden kann wertvolles Wasser bei Starkregen besser aufnehmen
  • Pflanzenbestände können Hitzeperioden entscheidend länger überstehen

«Wenn wir diesen Kühlschrank schneller leeren, als er sich füllen lässt, sinkt der Humuswert bis auf 1 Prozent. Dann dauert es zehn bis zwölf Jahre, ihn wieder auf 4 bis 5 Prozent aufzufüllen», erklärt Axel Vohwinkel.

  • In der regenerativen Landwirtschaft ist der Spaten das wichtigste Instrument – weil er sichtbar macht, was im Boden lebt, wie er riecht, sich anfühlt und ob er wirklich fruchtbar ist. (jvo)
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  • Eine mit dem Spaten entnommene Bodenprobe aus einem Rapsfeld. Der gut durchwurzelte und krümelige Oberboden entstand aus einer Zwischenfrucht vor dem Rapsanbau. (jvo)
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In einem zweiten Arbeitsgang kommt die Bodensonde zum Einsatz

Dann kommt die Bodensonde zum Einsatz – ein 100 Zentimeter langer Edelstahl-Stab mit T-Griff. «Ich will wissen, was da unten los ist», sagt Axel Vohwinkel und drückt die Sonde gefühlvoll in den Boden – wie ein Bäcker das Holzsspiesschen in einen Kuchen. So ertastet er die Bodenhorizonte:

  • A-Horizont oder Oberboden: Der fruchtbare Teil des Bodens – dunkel, humusreich und voller Leben. Hier wachsen die meisten Wurzeln und arbeiten Mikroorganismen und Regenwürmer.
  • Pflugsohle: Eine verdichtete Schicht, die sich durch den Druck der Pflugschar und Traktorräder in 20 bis 30 Zentimeter Tiefe gebildet hat.
  • B-Horizont oder Unterboden: Weniger Humus, meist weniger durchwurzelt. Hier dringen Pflanzenwurzeln tiefer vor – wenn der Boden locker und offen genug ist.
  • C-Horizont oder Ausgangsmaterial: Lockeres Gestein, aus dem sich der Boden langsam bildet. Kaum Leben, noch kein richtiger Boden.
  • R-Horizont oder Festgestein: Unverwittertes, hartes Gestein.

Mit der Bodensonde erkennt Axel Vohwinkel auch Verfestigungen und Verdichtungen. «Nicht jede Verfestigung ist schlecht, sofern der Boden offenporig ist. Verdichtungen oder technisch bedingte Verschmierungen behindern das Wurzelwachstum.»

Die Aussagekraft der Bodensonde ist allerdings witterungsabhängig – im Frühjahr und Herbst gut, im Sommer oft eingeschränkt.

Der Boden ist ein lebendiger Organismus

Für Axel Vohwinkel ist der Boden ein lebendiger Organismus – ein Netzwerk aus Mikroorganismen, Regenwürmern, Pilzen und Wurzeln. Dieses Bodenleben muss «gefüttert» werden – mit organischer Substanz, nicht mit Chemie.

«Die intensive Landwirtschaft, die maximale Erträge anstrebt, gilt seit Jahrzehnten als gute landwirtschaftliche Praxis», sagt er. Axel Vohwinkel geht es «weniger um ein betriebliches Maximum als um ein betriebliches Optimum, das langfristig ökologisch und wirtschaftlich tragbar ist.»

Axel Vohwinkel arbeitet mit Spaten und Sonde, mit Geruchssinn, Fingerspitzengefühl und Erfahrung – von Kopf bis Fuss, respektive umgekehrt: «Wir müssen den Boden verstehen und begreifen, erst dann können wir ihn erfahren.» Nicht mit Traktor und Pflug, sondern mit mindestens drei unserer fünf Sinne.

Regenerative Landwirtschaft Acker Bodenprobe Untersuchen Jvo
Axel Vohwinkel entnimmt der Bodenprobe mit der Messerspitze ein Bodenkrümel. In einem einzigen solchen Bodenkrümel leben mehr Mikroorganismen als Menschen auf unserer Erde. (jvo)

Wie macht regenerative Landwirtschaft einen leblosen Boden lebendig?

Ohne schützende Bedeckung ist der Boden Hitze und Starkregen ausgesetzt. Erosion zerstört, was über Jahre gewachsen ist. Die regenerative Landwirtschaft schützt das Bodenleben durch ständige Bedeckung – etwa durch unmittelbare Begrünung nach der Ernte durch Zwischenfrüchte oder Untersaaten.

In der regenerativen Landwirtschaft ist das ein zentraler Punkt: «Eine ständige Bodenbedeckung schützt das Bodenleben. Der Weg dahin beginnt nicht mit Maschinen, sondern mit Pflanzen», sagt Axel Vohwinkel.

Regenerative Landwirtschaft bringt den Boden Schritt für Schritt zurück ins Leben – mit fünf aufeinander aufbauenden Prinzipien:

  • Organisches Material zurückführen: Pflanzenreste, Kompost und Mulch – alles, was mikrobielles Leben ernährt – bleibt im Kreislauf. Der Boden wird nicht abgeerntet und leer zurückgelassen, sondern «gefüttert».
  • Zwischenfrüchte und Untersaaten: Statt nacktem Boden zwischen den Kulturen versorgen lebendige Wurzeln das ganze Jahr über die Mikroorganismen mit Zuckern und erhalten das mikrobielle Leben.
  • Flache, schonende Bodenbearbeitung: Keine tiefen Pflüge, keine Störung der Bodenstruktur. Die Pilzgeflechte wachsen weiter, Regenwurmgänge bleiben offen.
  • Mikrobielles Management: Effektive Mikroorganismen EM, Fermente und eine Flächenrotte (das gezielte Einarbeiten von Zwischenfrüchten kombiniert mit EM) aktivieren gezielt die Humusbildung. Die Bodenbiologie wird nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt angeregt.
  • Vielfalt statt Einfalt: Mischkulturen, weite Fruchtfolgen, Zwischenfrüchte und Untersaaten stabilisieren das Bodenleben. Denn jedes Mikroorganismus-Milieu braucht unterschiedliche Pflanzenimpulse.

«Es geht darum, den biologischen Kreislauf wieder zum Laufen zu bringen – statt nur Nährstoffe zu streuen», sagt Axel Vohwinkel. «Ein belebter Boden ernährt die Pflanzen, reguliert sich selbst, spart Dünger und Pflanzenschutzmittel. Er ist die Zukunft.» Und diese Zukunft beginnt mit einem Spatenstich.