Schweizer Landwirte arbeiten mit fortschrittlichen Technologien
Ein kameragesteuerter Hackroboter, ein selbstfahrender Motormäher oder ein elektrisches Unkrautvernichtungsgerät zeig...
Ist es angezeigt, während der Kriegswirren im Osten und Südosten eine Fachmesse mit Bio- und Käseprodukten mitten im westlichen Lemberg durchzuführen? Und ob. Solche Messen dienen dazu, die Wettbewerbskraft der Landwirtschaft auch in schwierigen Zeiten zu stärken.
Das meint zumindest der ukrainische Landwirtschaftsminister Taras Vysotskyi, der höchstpersönlich aus dem hunderte von Kilometern entfernten Kyiv angereist ist. «Das trotz der schwierigen Umstände so viele Produzenten aus dem ganzen Land an unserer Messe mit Bio- und Milchprodukten teilnehmen können, grenzt an ein Wunder», sagt er. Und er weiss nur zu gut, wie sehr die Produktion der Landwirtschaftsbetriebe in der östlichen Ukraine und Landesmitte in Mitleidenschaft gezogen worden ist – von Landverlusten ganz abgesehen. Man spricht von Milliardenschäden allein für die produzierende Lebensmittelbranche. Nur allein die unsichere Energieversorgung mit zahlreichen Stromausfällen hat zu vielen Verlusten in der Käseproduktion geführt.
Vysotskyidarf sich im Zentrum des 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernten Lemberg über eine Messe mit mehreren Dutzend Ausstellern freuen. Schwerpunkte sind Bio- und Milchprodukte. Überwältigend ist vor allem das Angebot an Käse, das trotz zahlreichen widerkehrenden Stromausfällen – den zuhauf eingesetzten benzingetriebenen Stromgeneratoren sei Dank – sehr breit ist. Die unzähligen Spezialitäten mit Weich-, halbhart und Hartkäse mit unterschiedlichsten Zutaten und Aromen lädt ebenso zum Degustieren ein wie die reiche Palette an Joghurt, Konfitüren, in Weckgläsern konservierten Gemüse und Früchten, Gemüse und Früchtepasten, verschiedenen Teesorten, Chips, Broten. Auch das Weinangebot kann sich sehen lassen – Biowein inklusive. Die kulinarische Vielfalt an diesem Markt mit mehreren Dutzend Ständen ist überwältigend. Und die Leute stehen Schlange um zu probieren. Und auch zu kaufen. Schon am ersten der zwei Tage sind einzelne Produkte ausverkauft. Zum Beispiel am Stand der Shabska-Farm nahe dem aus strategischen Gründen heftig umkämpften Odessa.
Tobias Eisenring, Projektleiter des QFTP-Programms des Forschungsinstituts für biologische Landwirtschaft FiBL arbeitet mit seinem ortsansässigen Team von Spezialisten, die er von der Schweiz aus führt, schon seit über 16 Jahren an der Entwicklung einer Bioproduktion in der Ukraine. «Da hat neben der Zunahme des Bewusstseins für Bioqualität vor allem ein Wertwandel stattfinden müssen», sagt er. Schonender Umgang mit Ressourcen, Rückverfolgbarkeit und Transparenz, Grundwerte des biologischen Landbaus, haben die ukrainischen Landwirte nicht von Sowjetunion gelernt, eher das Gegenteil.
Sein Team berät die Bäuerinnen und Bauern im Biolandbau, der erforderlichen anspruchsvolleren Schädlingsbekämpfung, Implementierung von Qualitätsstandards und -kontrolle sowie der Vermarktung. Hat sich der Biolandbau vor Kriegsausbruch 2022 mit hoher Dynamik auf bereits über 418 nach ukrainischen Verhältnissen mittlere und grössere Betriebe ausgedehnt, sind es heute rund 380 Produzenten, die sich unter den erschwerten Bedingungen mit teils zerstörter Infrastruktur auf den Biolandbau einlassen. «Wir haben gesehen, Bio hat viel Zukunft in der Ukraine», meint Eisenring, «gleichzeitig ist aber im Heimmarkt mit der Flucht Millionen Familien die wichtigste Klientel für diese hochwertigen und gesunden Produkte weggebrochen.» Er betont aber: «Die ukrainischen Produzenten sind nach wie vor begeistert für Bio und wollen in naher Zukunft vorübergehend mehr auf Export setzen.» Deswegen ist es für das FiBL wichtig, durch Unterstützung von Messeauftritten vor allem Marktzugänge in Ausland zu eröffnen.
Rostyslav Zinovskyi und seine Frau Natalia betreiben dort seit 2011 einen Betrieb mit 650 Milchkühen und 600 Kälbern. Angefangen haben sie nicht mit Ställen, sondern mit offenen Unterständen. Auf ihren 3’000 Hektaren bauen sie zudem Weizen, Sonnenblumen, Mais und auf deren 150 Hektaren Salat an. Zinovskyi hat gerade zwei Wochen Urlaub von der Front im Marinekorps bei Odessa. «Ich fühle mich verpflichtet, alles dafür zu tun, unser Land zu verteidigen», sagt der bescheiden zurückhaltende Unternehmer. «Gleichzeitig geben wir alles, um unseren Betrieb aufrecht zu erhalten.» Zum Militäreinsatz hat sich der 54-jährige Vater von drei Kinder im Alter von 34, 25 und 15 freiwillig gemeldet. Mit ein Grund ist, dass er die russische Aggression hautnah erlebt hat.
«Wenige Kilometer von unserem Betrieb ist eines Nachts eine Rakete der Russen eingeschlagen und hat mehrere Gebäude und Traktoren komplett zerstört – zum Glück gab es keine Todesopfer», erzählt er und zeigt auf seinem Smartphone eine Filmaufnahme, die Gebäudeschutt, Krater und ausgebrannte Fahrzeuge festhält. «Die Wirtschaftsgebäude sind wohl mit einer militärischen Einrichtung verwechselt worden», vermutet er.
Trotz dieses Ereignisses hat er keine ernsthaften Befürchtungen vor weiteren Raketeneinschlägen: «Unser Betrieb ist rein zivil – bereits vor dem Krieg sind wir von vielen Touristen frequentiert worden.» Und die fehlen ihm jetzt. Denn als gelernter Käser hat er zur Milchproduktion gleich auch noch eine Molkerei aufgebaut, die er bis Kriegsausbruch als Tourismusattraktion mit einem erfolgreichen Direktverkauf aufgezogen hat. «Und in unserer Gegend wird auch viel Wein angebaut, die Vermarktung lässt sich gut mit unseren Käseprodukten kombinieren», erzählt er.
Zinovskyi und seine Frau haben beim Staat beantragt, dass ihre Mitarbeitenden zur Wahrung der Grundversorgung nicht eingezogen werden, der Staat behält sich aber vor, die Hälfte einer Betriebsbelegschaft bei Bedarf einzuziehen. Indem seine Frau die alleinige Führung des Betriebs übernimmt und er einrückt, löst er die 50 Prozent ein. Er tut dies freiwillig und mit Überzeugung: «Wir müssen diesen sinnlosen Krieg beenden und wir können das nur tun, indem wir uns wehren und unser Leben aufs Spiel setzen.»
Die Ukraine verfügt rund über einen Drittel der fruchtbarsten Ländereien der Welt. Schwarzerdeböden bedecken rund 56 Prozent der Fläche der Ukraine und sind vor allem in der zentralen und östlichen Ukraine zu finden. Entsprechend wird dieser Boden für den grossflächigen, intensiven Ackerbau genutzt. Während die Ukraine ein globaler Akteur im Getreide- und Sonnenblumenölmarkt ist, setzt die Schweiz auf kleinere nachhaltigere Betriebe mit Schwerpunkt Milch- und Fleischprodukte und hochwertige Käseproduktion.
Zeigen die Globalzahlen die Unterschiede zwischen der kleinflächigen und der grossflächigen ukrainischen Landwirtschaft klar auf, prägt auf dem Land in der Ukraine nach wie vor das parallele Phänomen der Selbstversorgung und Kleinstlandwirtschaft das Bild. Viele Haushalte halten ein bis zwei Kühe, die zum Teil neben der Strasse auf der Wiese angepflockt sind, sowie Hühner, Gänse oder Schweine und bauen eigenes Gemüse zur Senkung der Haushaltskosten an. Überschüsse verkaufen oder tauschen sie. Allerdings bringt die Entwicklung der Landwirtschaft mit entsprechenden Richtlinien und Qualitätsstandards dieses Phänomen der einzelnen Kleinstbauern nach und nach zum Verschwinden.
Der Markt ist inzwischen noch belebter geworden. Es gibt Ansprachen und Produktepräsentationen. Dass für eine Darbietung mitunter auch der etwas überkandidelte Begriff «Master Class» angewandt wird, zeugt nur davon, mit welcher Begeisterung die ukrainischen Produzenten ihre Kunden für anspruchsvollere Genüsse motivieren wollen. Am Rand geht es auch um einen kulturellen Austausch. Die Schweiz präsentiert ihren «Tête de Moine», wofür FiBL-Projektleiter Tobias Eisenring eigens in eine Mönchskutte steigt, um den Käse mit Geschichte anzureichern. Oksana Tschernowa von der ukrainischen Pro-Cheese präsentiert derweil die Geheimnisse der Raclettezubereitung und des Genusses dieses Schmelzkäses.
Für die Ukraine leistet die Schweiz humanitäre wie auch Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe. Insgesamt investiert sie in den Jahren 2023/24 rund 300 Millionen Franken. Im Rahmen dieser Entwicklungshilfe realisieren das Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft FiBL und die SAFOSO AG mit einem kleineren Teilbudget im Auftrag des SECO das Förderungsprojekt Quality Food Trade Programm QFTP für die ukrainische Landwirtschaft. Mehr Qualität gleich mehr Wertschöpfung gleich bessere Löhne gleich bessere Lebensbedingungen lautet das Prinzip dieses Programms. Dank der Implementierung der ukrainischen Bio-Gesetzgebung lassen sich gesündere und nachhaltigere Bioprodukte anbauen und in der Ukraine und im Ausland absetzen. Oder dank der Verbesserung der Milchqualität lassen sich verarbeitete Produkte wie Käse herstellen. Damit steigt die wirtschaftliche Wertschöpfung im Land der bis anhin auf exportorientierte Massenproduktion mit geringen Margen ausgerichtete Landwirtschaft. Die für diese spezialisierteren Leistungen erforderlichen Berufsbilder sind anspruchsvoller, die Arbeit wird besser bezahlt. Dies führt wiederum zu besseren Lebensbedingungen bezüglich Kaufkraft und Konsum und erhöht den durchschnittlichen Lebensstandard.
Das QFTP-Programm beinhaltet eine Biomarktentwicklungs- sowie eine Milchkomponente. Die Biokomponente umfasst den Knowhow-Transfer mit Beratung der Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetriebe, Schaffung von gesetzlichen Grundlagen und Qualitätsstandards inklusive Qualitätskontrolle. Die Unterstützung reicht bis hin zur Vermarktung, zum Beispiel durch die Organisation und Teilnahme an nationalen und internationalen Biomärkten. Im Rahmen der Milchkomponente besteht der Initialansatz darin, die Milchqualität auf EU-Standard anzuheben. Damit lassen sich hochwertige Produkte wie Käsespezialitäten für den Heim- wie auch Exportmarkt herstellen. Das QFTP-Programm beschäftigt ein Team mit internationalen Experten sowie lokalen ukrainischen Spezialisten, die in Kiew und Lemberg stationiert sind und von dort aus das ganze Land betreuen.
An der Messe mit mehreren Dutzend Marktständen inmitten von Lemberg ist auch Bohdan Bodnar mit seinen mit seinen biologischen Beeren und Beerendrinks sowie Kräutertees vertreten. Die Delegation aus Schweizer Besuchern und Projektmitarbeitenden vor Ort hat ihn noch am Vortag auf seiner Farm, die im Dorf Verkhnhya Stynava mit gerade mal drei Kilometer zur polnischen Grenze liegt, besucht. «Laufend gilt es sich anzupassen und weiterzuentwickeln», sagt er, «der Beerenmarkt ist sehr dynamisch.»
Gestartet ist Bodnar mit seinem Unternehmen «Stynava Garden» zunächst mit nichtbiologischem Anbau von Beeren, erkannte dann aber 2016, dass der Anbau von Bioproduktion ökologisch sinnvoller ist und eine bessere Rendite verspricht. Um die Grundlagen des biologischen Landbaus von Grund auf zu erlernen, baute er seine Heidelbeeren zunächst auf der überschaubaren Fläche von 2,5 Hektaren an. Heute bewirtschaftet er 17 Hektaren und will dieses Jahr, mit einer ersten Ernte ab Ende Juni bis 60 Tonnen Biobeeren von seinen hunderten von Sträuchern ernten. Für seinen Betrieb braucht er bis zu 50 permanente und saisonale Frauen und Männer. Seine Produkte hält er in Kühlcontainern frisch und besitzt auch zwei Lastwagen mit Kühlfunktion, um die Beeren möglichst rasch und direkt liefern zu können. Ein Gang über seine Beerenplantage zeigt: Die Sträucher sind grosszügig verteilt, sie sind mit Biodiversitätsflächen durchsetzt, die der Biodiversität, der Bestäubung wie auch der Schädlingsbekämpfung dienlich sind.
«Das Schweizer QFTP-Programm hat mir sehr viel Wissen vermittelt und unterstützt mich nun auch dabei, meinen Marktzugang zu erweitern», erklärt er. Entsprechend wird er mehrere Messen ausserhalb der Ukraine besuchen können. Er ist stolz darauf, sowohl das Biozertifikat der EU wie auch jenes der Ukraine erhalten zu haben. In der Folge will er die Fläche rasch bis 25 Hektaren erhöhen und neue Marktzugangsmöglichkeiten für den Export mit tiefgekühlten Biobeeren nutzen.
Das Jahr 1991 markiert nicht nur das erste Jahr der Souveränität der Ukraine im Zug des Zerfalls der Sowjetunion, sondern auch den Höhepunkt der Gesamtbevölkerungsanzahl mit insgesamt 51,5 Millionen Einwohnern. Seither ist die Bevölkerung sukzessive zurückgegangen. 2020 lag sie gemäss unterschiedlicher Quellen wie Statista, UNO oder Weltbank noch bei 42 bis 44 Millionen, 2022 bei knapp unter 40 Millionen. Insgesamt sind seit Ausbruch des Krieges im Jahr 2022 6 Millionen Menschen geflüchtet, hauptsächlich Frauen mit Kindern. Da die Ukraine dem Kriegsrecht untersteht, gewährt die Ukraine Männern die Ausreise nur in Ausnahmefällen. Jüngere Kriegsereignisse zeigen: Familien, die zwei bis drei Jahre im Exil leben, integrieren sich in der Regel sehr rasch und kehren nach Kriegsende grossmehrheitlich nicht zurück. So ist nach Kriegsende damit zu rechnen, dass viele Männer ihren Familien nachziehen. Mit Folgen: Für den Wiederaufbau der Ukraine werden junge, gut ausgebildete Menschen fehlen. Laut verschiedenen Prognosen leben im Jahr 2040 noch rund 35 Millionen Menschen in der Ukraine.
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