Tiefkühlbutterlager auf Achterbahnfahrt
In der Schweiz werden jährlich zwischen 39’000 und 45’000 Tonnen Butter hergestellt. Die Verkäufe schwanken weniger s...
Vor fast zwei Jahrzehnten wagten drei Schweizer Landwirte den Schritt ins Unbekannte und flogen nach Russland, um dort ein neues Leben als Bauern zu beginnen. Denn in Russland gab es riesige Flächen von ehemaligen Kolchosen, bankrotte Betriebe und kaum Leute, die etwas vom Metier verstanden. Ungefähr 150 Kilometer in südwestlicher Richtung von Moskau entfernt kauften die drei Landwirte zusammen den Betrieb «Schweizer Milch» in Gorbjonki. Die Schweizer Politik unterstützte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Kleingewerbe in Russland und so hatte die ehemalige Kolchose, also eine ehemalige sowjetische landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, in den vorangegangenen Jahren eine Umstrukturierung durch Schweizer Agronomen, unterstützt durch finanzielle Mittel aus der Schweiz, erfahren. Rund um die Nullerjahre ging das Interesse, weitere Investitionen in solche Projekte zu tätigen, allerdings verloren.
So trafen die drei Bauern auf dem damals 300 Hektar grossen Betrieb, mit 90 Kühen und 35 Mitarbeitern, die im kleinen Umfang pasteurisierte Milch produzierten, zahlreiche Bereiche an, die einer Verbesserung bedurften. Mit grosser Motivation machten sie sich daran, die Maschinen zu reparieren, genug Futter für den Winter zu organisieren und sich eingehend mit allem vertraut zu machen. Der Hof entwickelte sich und wuchs von Jahr zu Jahr.
Die Anfänge waren allerdings nicht einfach. Die russischen Angestellten waren vom kommunistischen System geprägt, und es gab viele Herausforderungen im Umgang mit der neuen Marktwirtschaft: «Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Menschen quasi über Nacht in die Herausforderungen der Marktwirtschaft gestossen», berichtet Jakob Bänninger, einer der drei «Gründerväter» des Betriebs. Das gesamte System sei zusammengebrochen und weder Kunden noch Lieferanten hatten Geld. «Viele Unternehmen und auch die Landwirtschaftsbetriebe gingen bankrott und jeder nahm noch mit, was er konnte», so Jakob Bänninger weiter.
Vor diesem Hintergrund begannen die drei Landwirte mit der Umstrukturierung des Betriebes: Sie bauten den traditionellen sowjetischen Anbindestall in einen Laufstall um und nutzten die in der Sowjetära etablierte Praxis der Direktvermarktung von Milch. Die Milch wird bis heute auf dem Hof pasteurisiert, in Tetrabeutel abgefüllt und als hochwertiges «Premium-Produkt» vermarktet. Ein Drittel der Milchprodukte geht in die Region Kaluga, und ein bedeutender Teil wird von einer bekannten Käserei gekauft. «Ganz schweizerisch haben wir immer schon auf Qualität vor Quantität gesetzt und die hohe Qualität unserer Milch ist für die Käseherstellung – damit setzen wir uns von anderen Betrieben in der Region ab» erklärt Jakob Bänninger. Bei heute rund 800 Milchkühen, die mit einem erheblichen Anteil Kraftfutter gefüttert werden und eine durchschnittliche Milchleistung von gut 10’000 Litern pro Kuh und Jahr erreichen, lässt sich die Quantität aber auch nicht ausser Acht lassen.
Unter anderem der Direktverkauf der Markenmilch und die Nähe zu den Märkten wie Kaluga und Moskau sowie die hohe Qualität der Milch, die so eben auch für die Käseherstellung geeignet ist, sind ausschlaggebend dafür, dass der Betrieb heute auf gesunden finanziellen Füssen steht.
Der Betrieb besteht aus einer Fläche von 1’300 Hektaren mit einem Viehbestand von rund 1’300 Tieren – ungefähr 800 Kühe und 700 Stück Jungvieh. Angebaut werden rund 480 Hektaren Silomais, 140 Hektaren Körnermais, 250 Hektaren Getreide und 300 Hektaren Kunstwiese. Daneben besteht der Betrieb aus 200 Hektaren Weiden und 150 Hektaren Naturwiesen.
Heute ist der Betrieb ein Vorzeigeprojekt in Russland, wäre da nicht die Ukrainekrise, die ihre Schatten auch auf den Hof «Schweizer Milch» wirft: Von der Annexion der Krim im Jahr 2014 «profitierten» die russischen Landwirtschaftsbetriebe zwar noch. «Zu Beginn unseres Abenteuers in Russland haben wir uns jeweils über die westlichen Produkte, die mit Exportsubventionen ganz billig nach Russland gelangt sind, aufgeregt», erzählt Jakob Bänninger. Milchprodukte seien so fast gratis nach Russland gelangt und die russische Landwirtschaft habe darunter stark gelitten. Als westliche Länder aufgrund der Annexion der Krim wirtschaftliche Sanktionen verhängt hätten, seien diese Produkte plötzlich weggefallen. «Der Landwirtschaft ging es daraufhin besser und nach der Krimkrise ging es mit unserem Betrieb steil nach oben», so Jakob Bänninger weiter.
Seit der Eskalation mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 zeigt sich die Situation allerdings angespannter. Die Auswirkungen des Krieges sind spürbar, auch wenn bisher keiner der Mitarbeiter eingezogen wurde. Einige haben allerdings Verwandte an der ukrainischen Front und die Sanktionen erschweren den Erwerb von Ersatzteilen für westliche Landwirtschaftsmaschinen. Trotzdem hält sich Jakob Bänninger bezüglich des Konflikts in der Ukraine zurück. Der Fokus liege auf dem Erhalt ihres Betriebes, in den in den letzten Jahren viel investiert wurde und von dem viele Menschen lebten und ihre Familien ernährten. Daneben dürfte auch die Abhängigkeit vom russischen Landwirtschaftsministerium bezüglich Lizenzen eine Rolle spielen, dass sich Jakob Bänninger nicht weiter politisch äussern will. Jakob Bänninger hofft aber auf ein baldiges Kriegsende und eine Rückkehr zur Normalität, auch in Bezug auf Besuche von Reisegruppen aus der Schweiz, die den Hof früher regelmässig besuchten.
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