Lebensraum Hecke: Wie grüne Bänder die Artenvielfalt stärken
Einst als Windschutz und Nahrungsquelle angelegt, fördern Wildhecken heute vor allem die Artenvielfalt und bieten zah...
Der Biologe Marcel Züger ist Inhaber und Geschäftsführer der Pro Valladas GmbH in Salouf GR. Er hat die Studie «Biodiversität im Kulturland. Positive Entwicklungen und Problemfelder.» erstellt. Die Studie wurde im Auftrag des Schweizer Bauernverbandes verfasst.
LID: Gibt es in der Studie Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?
Marcel Züger: Übers Ganze gesehen ist das Gesamtbild positiver ausgefallen als ich erwartet hatte. Ich hatte erwartet, dass sich die Lage auf tiefem Niveau stabilisiert hat. Aber zum einen war das Niveau gar nicht so tief und zum anderen war die Talsohle rund ums Jahr 2000 und seither geht es aufwärts. Das ist das Fazit über mehrere Organismengruppen, und ich habe nur die gesamtschweizerische Situation betrachtet. Es gibt auch gegenläufige Entwicklungen, aber die gesamthafte Tendenz ist klar positiv. Schauen wir zum Beispiel bei den Vögeln. In den letzten 100 Jahren sind neun Arten aus der Schweiz verschwunden, aber 35 Arten hinzugekommen. Diese neun Arten sind nicht «ausgestorben», sie kommen in der Schweiz nicht mehr vor, in umliegenden Ländern aber schon. Das ist ein wichtiger Unterschied. Ich will damit auch nicht sagen, dass alles besser wird. Wir haben zweifellos Problembereiche, aber die Richtung stimmt.
Der Biodiversität im Kulturland geht es also gut?
Ich möchte den Zustand vergleichen mit einem wechselhaften Apriltag. Sonne, Regen, Wind, Graupel – aber insgesamt doch angenehm. Wir haben eine hohe Biodiversität in weiten Teilen des Alpenraums und des Juras. Die grosse Problemzone ist das Mittelland, oder noch genauer: die Agglomerationen und ihr Umfeld. Zum einen gibt es ehemalige Feuchtgebiete mit einem hohen Potenzial für seltene Arten. Gleichzeitig handelt es sich um die besten Ackerböden, also die wichtigsten Böden für eine pflanzenbasierte Ernährung. Der Siedlungsdruck für Wohnungen und Arbeitsplätze ist «gschpunne» hoch, auch für Freizeitanlagen. Hinzu kommt noch die ganze Erholungsnutzung mit Hund und Pferd und Kind und Kegel. Hinzu kommt eine massive Prädation durch Füchse, Krähen, Elstern etc., die im siedlungsnahen Raum besonders hohe Bestände besitzen. Verlässt man diese Brennpunkte, sieht es bedeutend besser aus.
Die Freizeitgestaltung halt also auch Auswirkungen auf die Arten im Kulturland?
Ja, gerade bei Charakterarten wie dem Feldhasen oder den Feldlerchen, die oft prominent behandelt werden, sehen wir, dass die Strukturen zwar passen mögen, aber aufgrund der Freizeitgestaltung werden sie ungenügend genutzt. Freilaufende Hunde töten junge Hasen, bei Vögeln wirken sie als Störung. Hündeler, Jogger, Mountain Biker etc. sind zu fast jeder Tages- und Nachtzeit unterwegs. Dann noch alle möglichen Flugobjekte von Drohnen über ferngesteuerte Flugzeuge und Drachen, zudem Naturfreunde und -fotografen, die sich Sonderrechte herausnehmen und überall rumstreifen. Die Tierwelt kommt also überhaupt nicht zur Ruhe. Ich habe ja Verständnis für all die Tätigkeiten. Nicht der einzelne, aber die Masse hat halt eine starke Auswirkung. Es ist ein Zusammentreffen vieler Faktoren. Hier: Störungen, Prädation, Flächenverlust durch Überbauung und Zerschneidung durch Strassen – alles hat exorbitant zugenommen und wird laufend mehr. Dort die Landwirtschaft, die in den letzten 30 Jahren eine eigentliche Kurskorrektur vorgenommen hat, die bedeutend umweltverträglicher geworden ist. Und alle zeigen auf die Bauern als Biodiversitätsvernichter. Das stimmt so einfach nicht.
«Die grosse Problemzone ist das Mittelland, oder noch genauer: die Agglomerationen und ihr Umfeld.»
Blicken wir etwas weiter zurück. Wie haben sich die Kulturlandarten entwickelt?
Ich habe vor genau 40 Jahren als Zehnjähriger angefangen, intensiv die Natur zu beobachten. In den 1980er-Jahren wusste man nicht, ob am nächsten Tag die vertraute Hecke und die Obstbäume noch stehen oder der nächste Bach eingedolt wurde. Viele Bäche waren verschmutzt und trugen Schaumkronen. Das ist vorbei, Obstbäume und Hecken sind geschützt, die Wasserqualität bedeutend besser, etc. etc. Das zeigen die Daten deutlich: Die «Alltags-Artenvielfalt» hat messbar zugenommen, die häufigen Arten nehmen seit rund 20 Jahren zu.Ein treffenderer Begriff als «Kulturlandarten» wäre «Offenlandarten». Vor 150 Jahren gab es in der Schweiz fast keine Wälder, wie wir sie heute kennen. Im Alpenraum wurden ganze Hänge kahlgeschlagen, im Wald weidete haufenweise Nutzvieh, es wurde Bodenstreu und sogar Tannzapfen gesammelt. Der Wald ist heute viel naturnaher. Die Arten des reifen Waldes haben stark zugenommen. Mit reifem Wald meine ich den klassischen, geschlossenen, hochgewachsenen, schattigen Wald. Im dunkleren Wald finden die Offenlandarten aber keinen Lebensraum. Auch die Waldfläche war um 1850 viel kleiner. Das Waldareal hat sich seit damals ziemlich genau verdoppelt. Die veränderte Landnutzung bietet Lebensraum für andere Arten. Die einen nehmen zu, die anderen ab. Beunruhigend wäre es, wenn es nur Rückgänge gebe. Das ist aber ganz klar nicht der Fall.Das gleiche ist auch im Landwirtschaftsland passiert. Über Jahrhunderte wurde jeder Grashalm genutzt. Die Böden waren vielerorts ausgelaugt, in der Fruchtbarkeit schwer geschädigt. Es herrscht so ein geschichtsvergessenes, romantisches Heidi-Bild. Der «Geissenpeter», den gab es, das war normal, das war nichts anderes als Kinderarbeit. Die Menschen waren mager, das Vieh war mager, und die Böden waren mager und verarmt. Von dieser Armut haben viele Arten profitiert, die sonst in kargen Gegenden wie dem Mittelmeerraum oder Steppen in Osteuropa leben. Ohne die Nutzung und Geschichte der Landschaft zu kennen, kann man die Veränderung der Arten nicht einordnen.
Und heute?
Im 20. Jahrhundert wurde mittels Mineraldünger zunächst die natürliche Bodenfruchtbarkeit wieder hergestellt. Vor allem um die 1980er Jahre war man übers Ziel hinausgeschossen, die Böden wurden überdüngt. Aber man hat dazugelernt, heute sind Düngerbilanzen und Pufferstreifen entlang von Gewässern und Gehölzen normal.Viele Arten, die im Naturschutz einen hohen Stellenwert besitzen, sind Hungerkünstler. Es gab in den letzten Jahrzehnten eine Nutzungspolarisierung: magere Flächen in Hanglagen wurden aufgegeben, die Nutzung guter Böden wurde intensiviert. Dadurch verloren die Hungerkünstler gleich doppelt. Hier wurden sie überwuchert, dort fielen sie der wiedergewonnen Bodenfruchtbarkeit zum Opfer. Was überraschend ist: Es sind in den letzten 100 Jahren nur wenige Arten aus der Schweiz verschwunden – in den meisten Organismengruppen sind es 1 bis 3 Prozent der Arten. Und es sind bei allen Gruppen etwa gleich viele Arten neu dazugekommen. Bei den Bestandesentwicklungen ist das Bild folgendes: Verglichen mit den 2000er-Jahren haben mehr Arten zu- als abgenommen. Die positivsten Entwicklungen finden wir bei den Habitatgeneralisten, also bei Arten, die keine speziellen Ansprüche an den Lebensraum stellen. Kurz gesagt: Allerweltsarten. Ein Problem haben wir bei den Habitatspezialisten, die z.B. auf besonders nasse, magere oder trockene oder sonst wie ungewöhnliche Standorte angewiesen sind.
«Das Gesamtbild ist positiver ausgefallen als ich erwartet hatte.»
Können sie mehr zu den Gewinnern sagen?
Gewinner sind klar die grossen und mittelgrossen Vögel und Säugetiere, allen voran die Prädatoren. Dazu gehören neben Fuchs, Dachs und Mardern auch Rabenvögel wie Krähen und Elstern, Eulen und Greifvögel. Entenarten, Störche, Reiher haben stark zugenommen In der Magerlandschaft wurden keine grösseren Tiere geduldet. Sie wurden als Nahrung genutzt, sie konnten zudem den eigenen Haustieren gefährlich werden, und sie waren Konkurrenten bei der Jagd oder Schädlinge. Wenn man sich vorstellt, dass es Zeiten gab, wo die Bauern am Seil gesichert armbreite Grasbänder in Felswänden gemäht haben, da hat keiner akzeptiert, wenn Hirsche auf der Wiese frassen. Mit den grösseren Erträgen kam der Wohlstand. Dank dem Wohlstand können wir uns Hirsch und Dachs und Adler wieder leisten.
Und die Verlierer?
Die Kleinen und Schwachen. Beutearten, Arten der warmen und besonnten, nährstoffarmen Standorte, überhaupt konkurrenzschwache Arten. Pioniere und Arten der jungen Sukzessionsstadien. Also die Erstbesiedler, wenn eine Störung verursacht worden war, sowohl auf festem Boden wie in und an den Gewässern.Wenn wir 100 Jahre zurückschauen, hatten wir sicher mehr Kleinvögel wie Feldlerchen oder Braunkehlchen. Grössere Tiere gab es aber deutlich seltener. Nicht nur waren Steinbock und Rothirsch ausgestorben, auch Marder oder Füchse gab es nur wenige. Das wirkt sich aber auf die Beutetiere aus. Sehen Sie, wir schützen das eine, haben Erfolge, und das hat logische Konsequenzen. Das ist per se nicht gut oder schlecht, das ist einfach so. Die Vergangenheit kann helfen, etwas zu verstehen. Aber sie ist ein schlechter Ratgeber. Diese Rückwärtsgewandtheit im Naturschutz ist ein echtes Problem.
In ihrer Studie schreiben Sie, dass nicht gefährdete Arten zunehmen, gefährdete Arten aber gefährdet bleiben. Was sind die Gründe dafür?
Zunächst: Die Resultate lagen nicht einfach offen da. Ich habe u.a. die Entwicklungen der Roten Liste-Arten verglichen. Die Methodik der Listen wurde immer wieder etwas verändert. Damit ich einen Vergleich ziehen konnte, habe ich diese methodischen Änderungen ausgeblendet. Erst dann zeigt sich ein realistisches Bild. Es ist klar positiver, als uns immer wieder weiszumachen versucht wird. Übers Ganze gesehen lässt sich sagen: nicht gefährdete Arten nehmen zu, gefährdete Arten stagnieren. Das ist natürlich eine allgemeine Tendenz, im Einzelfall kann das anders aussehen. Der Grund dafür ist allerdings offensichtlich. Sowohl die Biodiversitätsförderflächen als auch die Naturschutzgebiete sind auf für Generalisten angelegt. Also auf Arten, die häufig vorkommen. Aber die bereits angesprochenen Habitatsspezialisten bräuchten mehr Sonderstandorte, rabiate Eingriffe, die manchmal für den Naturfreund etwas verstörend wirken können. Ein stark runtergeschnittene Hecke, Rohboden auf einer Weide, auch mal einen früheren Schnittzeitpunkt als immer nur spätes Mähen in den Extensivweiden, breite Gehölzränder, die alle paar Jahre gemulcht werden. Die seltenen Arten sind totreglementiert. Die Massnahmen wären bekannt, aber es fehlt der Mut, bzw. der Widerstand ist gross. Ich habe auch schon von Pro Natura gehört, als es um eine unkonventionelle Massnahme ging: Du hast schon recht, aber das können wir unseren Mitgliedern nicht verkaufen. Die Konsequenz ist einfach die, dass sich viele seltene Arten nicht erholen können. Dann sollte man sich aber auch mit Kritik zurückhalten.
«Im Mittelland erkennt man die Naturschutzgebiete immer schon von weitem. Das sieht aus wie aus dem Naturschutzheftli-Katalog.»
Es bräuchte also spezielle Massnahmen für die Spezialisten?
Es bräuchte eine breitere Palette an Massnahmen. Pflege-Einheitsbrei bringt Arten-Einfalt. Wir müssten auf einem Teil der Flächen das Gegenteil von dem tun, was üblich ist. Das schlimmste sind Dogmen. Eines lautet: gar nicht düngen, möglichst spät mähen. Frühmahd auf Extensivflächen ist eine tolle Sache – als Ergänzung, aber bloss nicht als neues allumfassendes Dogma. Wenn alles ungedüngt ist, sind leicht gemistete Flächen eine gute Erweiterung des Spektrums. Rabiat zurückgestutzte Hecken würden auch Reptilien einen Lebensraum auf Zeit bieten, bevor die Sträucher wieder nachwachsen. Überhaupt müsste viel mehr geholzt werden, auch an Waldrändern, oder entlang von Waldstrassen. Die strukturreichsten Gehölzränder finden wir entlang von Autobahnen und Starkstromleitungen; dort wird aus Sicherheitsgründen stark eingegriffen, und wir finden oft spezielle Arten. Was überall fehlt, sind offene Wasserflächen, die können auch klein sein, sollten aber nicht zuwuchern.
Und wie sieht es mit den Naturschutzgebieten aus?
Das alles gilt nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die Naturschutzgebiete. Im Mittelland erkennt man die immer schon von weitem. Das sieht aus wie aus dem Naturschutzheftli-Katalog: Ein Teich, ein Steinhaufen, ein paar grosse Bäume, Brombeeren und etwas Gestrüpp. Und quasi mit der Rebschere gepflegt, sodass keinem Käfer ein Fühler gekrümmt wird. So versucht man, es allen recht zu machen. Aber allen Arten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Die konkurrenzstarken Arten werden gefördert, während die Habitatsspezialisten verloren gehen.
«Reglemente führen stets zu Durchschnittlichkeit. Missbrauch wird verhindert, aber genauso die grossen Erfolge.»
Sie kommen zum Schluss, dass es im Kulturland quantitativ genügend Biodiversitätsförderflächen gibt, aber Nachholbedarf bei der Qualität besteht. Weshalb ist das so?
Einerseits geht es sicher darum, wo die Flächen angelegt werden. Es ist verständlich, aber die Bewirtschafter tun dies dort, wo es betrieblich am wenigsten stört. Dort gäbe es Optimierungspotenzial, auch durch Zusammenarbeit mit den Nachbarn, auch mit Flächen, die nicht zum Landwirtschaftsland gehören. Der zweite Punkt ist die Pflege der Flächen, und da kritisiere ich auch uns Biologen. Naturschutz ist letztlich ein Handwerk. Biologen sind aber die Planer, quasi die Architekten. Viele wissen gar nicht, wie effektive Biodiversitätsförderung geht. Und die, die’s wissen, werden von den Vorgaben und Reglementen ausgebremst. Reglemente führen stets zu Durchschnittlichkeit. Missbrauch wird verhindert, aber genauso die grossen Erfolge.
Also auf die Ziele statt auf die Massnahmen fokussieren?
Ja und Nein. Es braucht einen Zwischenweg. Mit einer reinen Fokussierung auf die Ziele ginge man von einem Extrem ins andere. Wir haben in der Schweiz 56'000 Arten, 1500 davon sind Arten der Umweltziele Landwirtschaft. Es bräuchte einen riesigen Apparat für ein permanentes Monitoring. Man müsste quasi alle Arten beobachten. Nur ein Beispiel: Ich hatte mal Tümpel für Gelbbauchunken angelegt, eine seltene Krötenart. Schon im ersten Jahr war ich sehr zufrieden, da sich Kammmolche angesiedelt hatten, die sind noch seltener. Aber eigentlich war das Ziel nicht erreicht, denn gebaut wurde ja für die Gelbbauchunke. Auf die Landwirtschaft umgelegt: man macht was für Hasen, die kommen nicht, dafür drei andere Arten. Den Hasen hätte es vielleicht gefallen, aber da waren ständig Spaziergänger mit Hunden. Eine reine Zielorientierung funktioniert also auch nicht.
Wo sehen Sie die Lösung?
Bei einem Biodiversitätsberater, der die Möglichkeit hat, Flexibilität anzuwenden. Der muss das Okay oder den Anstoss geben, wenn etwas anders als nach Reglement gemacht wird. Und wenn ein Bewirtschafter keinen Berater will, dann macht er es halt nach Reglement und bleibt Durchschnitt. Es muss auch nicht jede Biodiversitätsförderfläche für den seltensten Falter angelegt werden. Ich bin zudem ein grosser Befürworter der Freiwilligkeit. Mit Argumenten und Fachwissen muss man überzeugen, es braucht pragmatische Ansätze. Der Landwirt muss die Möglichkeit haben, den Biodiversitätsberater selbst zu wählen.
«Die seltenen Arten sind totreglementiert. Die Massnahmen wären bekannt, aber es fehlt der Mut, bzw. der Widerstand ist gross.»
Sie sprechen oft die Reglemente an. Gibt es einen grossen Gap zwischen Reglementen und der Bäuerin und dem Bauer?
Es ist gar eine doppelte Lücke. Wir haben eine mentale Lücke. Der Biologe will Tiere und Pflanzenarten schützen, es ist eine geistige, planerische Arbeit. Landwirte sind Praktiker, es geht um die technische Umsetzung. Das Ziel ist die Produktion von Lebensmitteln. Das sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Das ist ja auch richtig, das ist wie bei Architekt und Maurer. Nur ist der Bauer der Hausherr, es geht um seinen Grund und Boden, seinen Alltag und seine Zukunft. Es heisst zwar immer, man begegne sich auf Augenhöhe. Aber ich höre selten von Beispielen, wo sich der Bewirtschafter ernst genommen fühlt. Vor 15 Jahren ging das noch einigermassen, ist aber seither wegerodiert. Mit Macht, Einfluss und Geld kam die Selbstgerechtigkeit. Naturschützer sehen sich viel zu sehr als Sender und nicht als Empfänger. Es würden vielen Naturschützern guttun, besser verstehen zu wollen.
Und die zweite Lücke?
Die ist zeitlicher Natur. Die Landwirtschaft funktioniert in kurzen Rückkopplungskreisen. Ein Bauer oder eine Bäuerin reagiert auf das Vorjahr und macht nie alles genau gleich. Die Reglemente sind viel träger. Nach der Umsetzung erfolgt irgendwann eine Erfolgskontrolle und es dauert 10-15 Jahre, bis man merkt, dass etwas nicht klappt. Erst dann gibt es eine Änderung, und oft wird übersteuert. Diese Kombination aus zeitlicher und mentaler Distanz führt zu dem Dilemma, in dem wir stecken. Da ist keine böse Absicht dahinter, aber schliesslich sind weder Landwirtschaft noch Naturschutz zufrieden. Da ist ein systemischer Fehler drin, bei dem wir ansetzen müssen.
Mehr Biodiversität in urbanen Gebieten wird oft gefordert. Liegt da Potenzial brach?
Es gäbe viele Flächen, auf denen kein Nutzungsdruck besteht, die oft sogar aufwändig gepflegt und unterhalten werden. Pärke, Flächen um öffentliche Gebäude, in Industriezonen, auch viele «Restflächen» wie Strassenborde und bei Infrastrukturanlagen. Aber die Arten, die man fördern kann, sind eingeschränkt. Limitierend sind v.a. der Verkehr und die vielen streunenden Katzen, auch die Lichtverschmutzung. Nicht oder kaum mobile Arten wie Reptilien oder Amphiben haben es schwer. Aber für Pflanzen, mobile Insekten und gewisse Vögel könnte man sehr gezielt Fördermassnahmen einführen. Da könnten wir ein Stück weit kompensieren, was der Siedlungsraum gefressen hat, da ist grosses Potenzial vorhanden. Es wird auch einiges gemacht, auch ein paar wirklich gute Sachen. Aber oft fehlt auch hier der Fokus, und das Praxiswissen. Gefördert werden am Ende des Tages wieder zwar attraktive, aber häufige Generalisten. Mit den richtigen Massnahmen könnte man richtig seltenen Arten unter die Arme greifen.
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