Pflanzenschutzmittel: Herausforderungen im Zulassungsverfahren in der Schweiz

Pflanzenschutzmittel sind ein essenzielles Werkzeug für die Landwirtschaft, um Ernteverluste durch Schädlinge und Krankheiten zu minimieren. Doch deren Zulassung gestaltet sich in der Schweiz zunehmend als Herausforderung.
Zuletzt aktualisiert am 10. Februar 2025
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
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Pflanzenschutzmittel spielen eine entscheidende Rolle für die landwirtschaftliche Produktion. Ohne sie wären viele Kulturen stark von Schädlingen und Krankheiten bedroht, was zu erheblichen Ernteverlusten führen könnte. Doch während die Landwirtschaft auf wirksame Schutzmassnahmen angewiesen ist, müssen Pflanzenschutzmittel auch strenge Umwelt- und Gesundheitsauflagen erfüllen. Das Zulassungsverfahren in der Schweiz stellt alle Beteiligten – Landwirtinnen und Landwirte, Industrie und Behörden – vor grosse Herausforderungen.

Am Schweizer Steinobstseminar Ende des letzten Jahres diskutierten Experten aus verschiedenen Bereichen über die komplexe Situation. Ihr Fazit: Das aktuelle System führt zu Verzögerungen, Indikationslücken und einer wachsenden Unsicherheit für die Landwirte. Wie lässt sich das Verfahren optimieren, um sowohl die Landwirtschaft als auch Umwelt- und Verbraucherschutz zu gewährleisten?

Ein langwieriger und komplexer Prozess

Jörg Beck von Scienceindustries skizzierte die Herausforderungen für die Industrie: «Unsere Aufgabe ist es, den Schweizer Markt mit sicheren und wirksamen Pflanzenschutzmitteln zu versorgen – unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben.» Doch die Realität sei komplex: Von der Entwicklung eines neuen Wirkstoffs bis zur Marktzulassung vergehen bis zu 15 Jahre. In dieser Zeit werden rund 200’000 Moleküle getestet, bis sich ein Wirkstoff als erfolgversprechend herausstellt. Ein weiteres Problem sind die enormen Kosten. «Die Entwicklung eines neuen chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittels kostet heute etwa eine Viertelmilliarde Franken», erklärte Jörg Beck. Aufgrund der strengen regulatorischen Anforderungen stiegen die Kosten in den letzten Jahrzehnten massiv.

Zusätzlich ist der Zulassungsprozess in der Schweiz durch langwierige Verfahren und hohe Anforderungen geprägt. Während in der EU ein vereinfachtes Zulassungsverfahren existiert, muss in der Schweiz jedes Produkt zusätzlich eine separate Prüfung durchlaufen – ein Prozess, der als «Swiss Finish» bekannt ist. «Das führt zu weiteren Verzögerungen von bis zu zehn Jahren», betonte Jörg Beck weiter. In dieser Zeit könnten Landwirtinnen und Landwirte nicht auf dringend benötigte neue Mittel zugreifen.

Regulierung und deren Folgen für die Landwirtschaft

Auch Edi Holliger vom Schweizer Obstverband kritisierte das aktuelle Zulassungsverfahren: «Alle sechs Monate werden Wirkstoffe vom Markt genommen, während neue, wirksame Alternativen oft nur schwer zugelassen werden.» Das führe zu sogenannten Indikationslücken – es fehlen zugelassene Mittel für bestimmte Kulturen, wodurch Schädlinge und Krankheiten unkontrolliert wüten können. Was wiederum dazu führe, dass die Landwirtschaft auf Notfallzulassungen angewiesen sei, was in der Folge Umweltverbände auf den Plan rufe: «Das ist gut gemeint, aber führt zu weiteren Verzögerungen, weil Bundesämter wertvolle Ressourcen für juristische Auseinandersetzungen aufwenden müssen.»

Und selbst allfällige Alternativen können nicht immer versprechen, was sie halten. «Jede Streichung eines Pflanzenschutzmittels bedeutet für uns eine Einschränkung – manche Wirkstoffe sind durch biologische Alternativen nicht gleichwertig ersetzbar, da diese von vielen Faktoren wie Witterung oder Befallsdruck abhängen», schilderte Edi Holliger die wachsenden Schwierigkeiten der Obstbranche.

Sicherheit geht vor

Thomas Imhof vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) verteidigte die strenge Prüfung: «Unser oberstes Ziel ist es, dass kein Pflanzenschutzmittel negative Auswirkungen auf Mensch, Umwelt oder Tiere hat.» Dafür gibt es in der Schweiz mehrstufige Prüfverfahren, die unter anderem das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) einbinden.

Thomas Imhof räumte jedoch ein, dass die Verfahren langwierig seien: «Es gibt praktisch kein Gesuch ohne Nachforderungen – oft sind Anpassungen nötig, um eine Zulassung zu ermöglichen.» Ein zusätzliches Problem seien die fehlenden Fristen für Behörden. Während in der EU-Bearbeitungsfristen gesetzlich vorgegeben sind, könne die Prüfung in der Schweiz unbestimmt lange dauern.

Auswirkungen auf die Landwirtschaft

Olivier Félix vom BLW sieht in den restriktiven Vorgaben ein wachsendes Risiko für den Ertrag der Schweizer Landwirtschaft: «Mit der fortschreitenden Reduktion der verfügbaren Wirkstoffe steigt das Risiko der Resistenzbildung», warnte er. Besonders betroffen seien Sonderkulturen wie Steinobst, wo oft nur wenige Mittel zur Verfügung stünden.

In einigen Kulturen gebe es sogar nur noch einen einzigen zugelassenen Wirkstoff, was langfristig ein Problem sei. Zwar gebe es Notfallzulassungen, um kurzfristig Engpässe zu überbrücken, doch dies sei keine nachhaltige Lösung. «Wir brauchen eine langfristige Strategie, um sowohl den Pflanzenschutz als auch Umwelt- und Verbraucherschutz zu gewährleisten», stellte Olivier Félix klar.

Biologische Alternativen – eine Lösung mit Hürden?

Ein vielversprechender Weg ist die biologische Schädlingsbekämpfung, etwa durch Mikro- und Makroorganismen. «Die Nutzung natürlicher Gegenspieler von Schädlingen kann eine umweltfreundliche Alternative zu chemischen Mitteln sein», erklärte Christoph Lüthi vom BAFU und betonte die Bedeutung nachhaltiger Alternativen.

In der Schweiz sind aktuell 30 Mikroorganismenarten als Wirkstoffe zugelassen, darunter Pilze, Bakterien und Viren. Auch 53 Makroorganismen, wie Nützlinge oder Nematoden, stehen zur Verfügung.

«Die biologische Schädlingsbekämpfung gewinnt an Bedeutung, stellt aber eigene Herausforderungen an die Regulierung», führte er weiter aus. Denn während Makro- und Mikroorganismen als vielversprechende Alternativen gelten, sei deren Zulassung ebenfalls mit hohen regulatorischen Hürden verbunden. «Biologische Alternativen müssen ebenso reguliert werden, um sicherzustellen, dass sie sich nicht unkontrolliert in der Umwelt verbreiten», so Christoph Lüthi.

Lösungsansätze: Mehr Effizienz, weniger Bürokratie

Die Referenten waren sich einig, dass die Prozesse effizienter gestaltet werden müssen, ohne die Sicherheit von Mensch und Umwelt zu gefährden. «Wir müssen das Zulassungsverfahren an technische Fortschritte anpassen – insbesondere für biologische Mittel braucht es vereinfachte und schnellere Verfahren», forderte Jörg Beck von Scienceindustries. Und Edi Holliger vom Schweizer Obstverband sprach sich für eine bessere Planbarkeit aus: «Die Landwirtschaft benötigt verlässliche Rahmenbedingungen, denn es kann nicht sein, dass wir nur noch mit Notfallzulassungen arbeiten.»

Olivier Félix verwies auf ein neues Projekt des BLW, das auf eine effizientere Pflanzenschutzstrategie abzielt: «Unser Ziel ist es, bestehende Instrumente besser zu nutzen und gezielt weiterzuentwickeln.» Auch der «Swiss Finish» müsse überdacht werden, ergänzte Jörg Beck: «Wir sollten nicht jedes in der EU zugelassene Produkt nochmals von Grund auf prüfen, sondern die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen.»

Ein Balanceakt zwischen Sicherheit und Praxis

Das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel in der Schweiz ist ein Drahtseilakt. Einerseits braucht es strenge Prüfungen zum Schutz von Mensch und Umwelt, andererseits darf die Landwirtschaft nicht ausgebremst werden.

Klar ist: Eine effizientere Gestaltung des Prozesses, angepasste Regelungen für biologische Alternativen und eine Überarbeitung des Swiss Finish könnten dazu beitragen, dass Landwirte weiterhin wirtschaftlich produzieren können – und gleichzeitig Umwelt und Verbraucherinnen und Verbraucher bestmöglich geschützt werden.