Grüne Milchalternativen: Ökohelden mit Nährstofflücken?

Pflanzliche Milchalternativen wie Soja-, Mandel- und Haferdrinks boomen. Sie gelten als umweltfreundlicher als Kuhmilch, doch in Sachen Nährstoffe hinken sie oft hinterher. Eine neue Studie zeigt: Was ökologisch punktet, hat bei Calcium und Vitamin B12 klare Schwächen – und fordert bewusste Konsumentscheidungen.
Zuletzt aktualisiert am 13. September 2024
von Renate Hodel
7 Minuten Lesedauer
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Milchersatzprodukte sind aus den Regalen der Supermärkte kaum mehr wegzudenken. (rho)

In den vergangenen Jahren haben pflanzliche Alternativen zu Milch und Milchprodukten einen regelrechten Boom erlebt. So sind Milchersatzprodukte wie Soja-, Mandel- oder Haferdrinks längst zu einem festen Bestandteil des Lebensmittelmarktes geworden und werden oft als gesunde, nachhaltige Alternative zur Kuhmilch beworben. Während sie in ökologischer Hinsicht tatsächlich auch oft punkten können, sind ihre ernährungsphysiologische Qualität aber kritisch zu hinterfragen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Agroscope und der Universität Bern im Auftrag der Stiftung TA-Swiss (siehe Textbox) wirft einen differenzierten Blick auf die Auswirkungen unter anderem von Milchersatzprodukten auf Gesundheit und Umwelt sowie auf die Wahrnehmung der Konsumentinnen und Konsumenten. Dabei wird klar: Die pflanzlichen Alternativen bieten viele Vorteile, bergen aber auch Herausforderungen, die besonders im Bereich der Nährstoffzusammensetzung und des Umweltverbrauchs deutlich werden. So zeigt die Studie, dass Milchersatzprodukte zwar bei Umweltbelastungen wie Treibhausgasemissionen und Landnutzung klare Vorteile haben, jedoch in Bezug auf essentielle Nährstoffe oft hinter Kuhmilch zurückbleiben.

Studie «Fleisch- und Milchersatzprodukte – besser für Gesundheit und Umwelt?»

Letzte Woche wurde die Studie «Fleisch- und Milchersatzprodukte – besser für Gesundheit und Umwelt? Auswirkungen auf Ernährung und Nachhaltigkeit, die Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten sowie ethische und rechtliche Überlegungen» publiziert. Die Studie wurde durchgeführt von einem interdisziplinären Team unter der Leitung von Dr. Mélanie Douziech und Dr. Eric Mehner von Agroscope, dem Kompetenz­zentrum des Bundes für die landwirtschaftliche Forschung. Ebenfalls an der Erarbeitung der Studie beteiligt war die Abteilung Consumer Behavior am Institut für Marketing und Unternehmensführung der Universität Bern.

 

Stiftung TA-Swiss

In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Stiftung TA-Swiss. Die Stiftung ist ein Kompetenzzentrum der Akademien der Wissenschaften Schweiz, dessen Auftrag im Bundesgesetz über die Forschung festgehalten ist. Die Stiftung TA-Swiss ist ein Beratungsorgan und wird durch die öffentliche Hand finanziert.

TA-Swiss hat den Auftrag, die Zukunftsfähigkeit neuer Technologien abzuschätzen – mit ihren Chancen und ihren Risiken. Ziel ist es, unabhängige, sachliche und ausge­wogene Informationen für Parlament, Bundesrat, Verwaltung und Bevölkerung zu erar­beiten, um die Meinungsbildung zu unterstützen und Grundlagen für technologiepolitische Entscheide zu liefern.

Mehr Nachhaltigkeit, aber mit Einschränkungen

Ein zentraler Befund der Studie zeigt, dass pflanzliche Alternativen zu Milchprodukten in vielerlei Hinsicht eine umweltfreundlichere Option darstellen. Wie die Studie zeigt, verursachen Sojadrinks beispielsweise deutlich weniger Treibhausgasemissionen und beanspruchen weniger Land als Kuhmilch. Auch der Wasserverbrauch ist bei Sojaprodukten geringer, was diese Alternative zu einer der ökologischsten Optionen macht.

Jedoch zeigt sich bei anderen pflanzlichen Alternativen, dass die Umweltvorteile nicht immer so eindeutig sind. Mandeldrinks beispielsweise, die in den letzten Jahren zunehmend beliebt geworden sind, haben einen extrem hohen Wasserverbrauch. Auch Haferdrinks, eine in Europa zunehmend populäre Alternative, haben im Vergleich zu Soja- und Kuhmilch einen höheren Wasserverbrauch, wenn auch in geringerem Ausmass als Mandeldrinks. Diese Unterschiede verdeutlichen, dass die Wahl des Milchersatzprodukts in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit eine kritische Entscheidung ist und nicht jede pflanzliche Alternative per se umweltfreundlicher ist. Zudem ist zu beachten, dass auf vielen Flächen in der Schweiz nur mit Nutztieren wie Kühen Nahrungsmittel produziert werden können.

  • Milchprodukte schneiden im Vergleich mit ihren vegetarischen und veganen Alternativen auf ökologischer Ebene teilweise zwar schlechter ab, in der Regel sind sie aber weniger verarbeitet und «purer»...
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  • ...wie beispielsweise der Vergleich zwischen Butter und veganer Magarine zeigt. (rho)
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  • Und viele Milchersatzprodukte werden zwar als reich mit Nährstoffen und Vitaminen beworben, ...
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  • ...müssen mit diesen aber extra angereichert werden und erreichen ähnliche Nährstoffwerte wie bei der Kuhmilch dann häufig trotzdem nicht. (rho)
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Nährstoffgehalte: Eine Schwachstelle der Milchersatzprodukte

Während die ökologischen Vorteile von Milchersatzprodukten gut dokumentiert sind, stellt ihre ernährungsphysiologische Zusammensetzung eine der grössten Herausforderungen dar. So widmet sich die Studie neben den Umweltaspekten auch ausführlich den gesundheitlichen Auswirkungen von Milchersatzprodukten. Hier wird deutlich, dass pflanzliche Alternativen in Bezug auf bestimmte Nährstoffe nicht immer mit Kuhmilch konkurrieren können: Die Studie betont, dass pflanzliche Alternativen in ihrer natürlichen Form oft nicht den Nährwert von Kuhmilch erreichen.

Besonders der Mangel an wichtigen Mikronährstoffen wie Calcium, Jod und Vitamin B12 fällt ins Gewicht. Diese Nährstoffe sind in Kuhmilch von Natur aus reichlich vorhanden und spielen eine Schlüsselrolle in der menschlichen Ernährung – insbesondere für die Knochengesundheit, die Blutbildung und die Schilddrüsenfunktion. In vielen pflanzlichen Alternativen sind diese Stoffe allerdings entweder gar nicht oder nur in geringen Mengen enthalten und müssen häufig künstlich zugefügt werden, um ähnliche gesundheitliche Vorteile zu bieten wie Kuhmilch.

Die Wahl des richtigen Produkts ist entscheidend, um einen positiven Effekt auf die Umwelt zu erzielen.

So wird Vitamin B12, das fast ausschliesslich in tierischen Produkten vorkommt und für die Bildung roter Blutkörperchen und die neuronale Funktion von Bedeutung ist, in vielen pflanzlichen Produkten ergänzt. Auch Calcium und Jod, die für die Knochendichte und die Schilddrüsenfunktion wichtig sind, fehlen in pflanzlichen Milchersatzprodukten oft, wenn sie nicht angereichert werden.

Auf der anderen Seite zeigen die Untersuchungen auch, dass pflanzliche Milchersatzprodukte oft weniger gesättigte Fettsäuren enthalten, was sie im Vergleich zu herkömmlicher Milch gesünder macht, denn der Verzicht auf tierische Fette kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern.

Landwirtschaftliches Potential im Hinblick auf Ersatzprodukte

Ein weiterer Aspekt, den die Studie behandelt, ist das landwirtschaftliche Potential der Schweiz, pflanzliche Rohstoffe für die Herstellung von Milchersatzprodukten selbst anzubauen und zu fördern. Der Trend hin zu pflanzlichen Alternativen eröffnet der Landwirtschaft neue Chancen, insbesondere durch den Anbau von Soja, Erbsen oder Hafer, die als Basis für Milchersatzprodukte verwendet werden können.

Die Ergebnisse zeigen, dass es sinnvoll sein kann, auf heimisch angebaute Rohstoffe wie Hülsenfrüchte zurückzugreifen, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Denn die Schweiz ist aktuell stark auf Importe angewiesen, insbesondere bei Soja. Wie die Studie zeigt, könnte der Anbau von Hülsenfrüchten wie Soja oder Erbsen auf Schweizer Böden deutlich ausgeweitet werden, um die heimische Produktion von Rohstoffen für Milchersatzprodukte zu steigern. Dies wäre nicht nur aus Selbstversorgungsperspektive sinnvoll, sondern würde auch die Transportemissionen reduzieren und die Wertschöpfung im Inland erhöhen.

Allerdings gibt es auch hier Grenzen: Die Schweiz verfügt nur über begrenzte Ackerflächen, und nicht alle Rohstoffe, die für die Herstellung von Milchersatzprodukten benötigt werden, können hier effizient angebaut werden. Ein kompletter Verzicht auf die traditionelle Milch- und Fleischproduktion wäre zudem nicht zielführend, da Weideflächen in der Schweiz zur Nutzung durch Milchkühe oder Rinder gut geeignet sind, aber für den Ackerbau nicht genutzt werden können.

So eröffnet der Trend hin zu pflanzlichen Milchersatzprodukten für die Landwirtschaft in der Schweiz zwar neue Möglichkeiten, insbesondere durch den verstärkten Anbau von Hülsenfrüchten. Eine vollständige Verlagerung der Landwirtschaft hin zu pflanzlichen Rohstoffen ist jedoch aufgrund der limitierten Anbauflächen und der Bedeutung der Weidewirtschaft unrealistisch. Insofern bleibt die traditionelle Milchwirtschaft in der Schweiz ein wichtiger Bestandteil der Landwirtschaft, während der Anbau pflanzlicher Rohstoffe für Milchersatzprodukte als Ergänzung zu sehen ist. Eine ausgewogene Strategie, die sowohl traditionelle als auch neue landwirtschaftliche Produktionsweisen berücksichtigt, könnte aber der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Zukunft sein.

Eine Frage der Information

Zuletzt spielt auch die Wahrnehmung der Konsumentinnen und Konsumenten eine zentrale Rolle im Hinblick auf Milchersatzprodukte: Zwar werden pflanzliche Alternativen oft als «natürlicher» und gesünder wahrgenommen, doch das Hinzufügen von synthetischen Nährstoffen widerspricht diesem Image. Zudem gibt es Bedenken, dass die Bioverfügbarkeit dieser zugesetzten Nährstoffe und die Fähigkeit des Körpers, diese effektiv aufzunehmen, geringer sind als bei natürlichen Quellen.

Laut den Ergebnissen der Untersuchung können viele Verbraucherinnen und Verbraucher ausserdem die gesundheitlichen und ökologischen Vorteile und Risiken von Milchersatzprodukten nicht richtig einschätzen. Dies liegt unter anderem an fehlenden klaren Informationen und dem oft irreführenden Marketing, das pflanzliche Alternativen grundsätzlich als gesünder und umweltfreundlicher darstellt. So zeigt die Studie auch, dass eine transparente Kennzeichnung von Nährstoffgehalten und Umweltwirkungen den Konsumentinnen und Konsumenten helfen würde, fundierte Kaufentscheidungen zu treffen.

Ein Teil der Defizite wird durch künstliche Zusätze ausgeglichen, was vermeintlich auch nicht im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten sein kann.

Während viele Konsumentinnen und Konsumenten aber aus ethischen oder ökologischen Gründen auf pflanzliche Produkte umsteigen, zeigen die Auswertungen der Studie auch, dass nur eine Minderheit tatsächlich auf eine exakte Nachahmung von Kuhmilch Wert legt und diese zunehmend als eigenständige Produkte, die sich von ihrem tierischen Pendant unterscheiden sollten, wahrnimmt. Dies könnte bedeuten, dass sich der Markt für Milchersatzprodukte weiter diversifiziert und weniger als Imitation, sondern vielmehr als originäres Lebensmittel verstanden wird.

Und wie steht’s um die Fleischersatzprodukte?

In der Studie «Fleisch- und Milchersatzprodukte – besser für Gesundheit und Umwelt?» von Agroscope und der Universität Bern wurden auch die Auswirkungen von Fleischersatzprodukten auf Gesundheit und Umwelt untersucht.

Die Studie offenbart, dass Risiken, die mit erhöhtem Fleischkonsum einhergehen, vermindert werden können. So zeigt der Einsatz von Fleischalternativen ein klares Reduktionspotenzial der Umweltbelastungen, denn die Herstellung von Fleischersatzprodukten ist laut Studie – hinsichtlich Wasser- und Landverbrauch, CO2-Ausstoss, Überdüngung und Versauerung von Ökosystemen – mit geringeren Umweltbelastungen verbunden als die Erzeugung von Fleisch.

Auch aus gesundheitlicher Sicht bieten Fleischersatzprodukte Vorteile. Eine Reduktion des Fleischkonsums kann das Risiko von Krankheiten senken, die mit einem hohen Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch in Verbindung gebracht werden. Dennoch gibt es auch bei den Fleischersatzprodukten Herausforderungen in Bezug auf die Nährstoffversorgung: Bei Ersatzprodukten fehlen zum Teil die Nährstoffe, die grösstenteils durch tierische Produkte geliefert werden. So fehlen kritische Mikronährstoffe wie Vitamin B12 in vielen pflanzlichen Alternativen und essentielle Mikronährstoffe wie Eisen kann der menschliche Körper laut Studie weniger gut aufnehmen, wenn sie pflanzlichen Ursprungs sind. Bei einer ausschliesslich pflanzenbasierten Ernährung drohen deshalb Mangelerscheinungen, wenn diese Nährstoffe vernachlässigt werden, und so kommt die Studie zum Ergebnis, dass die schweizerische Lebensmittelpyramide grundsätzlich Richtschnur für eine ausgewogene Ernährung bleibt.