«Die Tage des Genmoratoriums sind gezählt»

Zwischen globalen Herausforderungen und wissenschaftlicher Fortschritte steht die Schweiz vor einer entscheidenden Debatte: Soll das seit 2005 geltende Genmoratorium überdacht werden? Mit dem Potential neuer Züchtungstechnologien konfrontiert, ringt das Land um den Ausgleich zwischen technologischem Fortschritt und traditionellen Werten, was die Zukunft seiner Landwirtschaft und die Rolle der Gentechnik in der Gesellschaft betrifft.
Zuletzt aktualisiert am 4. April 2024
von Renate Hodel
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Gentech Lid
Feldversuche mit gentechnisch veränderten Kulturen sind in der Schweiz streng geregelt. (lid)

In einer Zeit, in der die Welt mit Herausforderungen wie Klimawandel, Bodenverlust und politischen Konflikten konfrontiert ist, steht die Schweizer Landwirtschaft an einem kritischen Wendepunkt. Der Einsatz und die Entwicklung neuer Züchtungsverfahren könnten nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Pflanzenproduktion stärken, sondern auch zur globalen Ernährungssicherheit beitragen.

Mit der Entwicklung und den potentiellen Einsatz neuer Züchtungstechnologien könnten sich für die Pflanzenproduktion neue Horizonte öffnen, denn die neuen Züchtungstechnologien wie CRISPR/Cas versprechen nie dagewesene Möglichkeiten für Innovation und Nachhaltigkeit.

Mit der Landwirtschaft steht auch die Schweizer Politik an einem Wendepunkt: Das sogenannte Gentechnik-Moratorium, das seit 2005 den Anbau gentechnisch veränderter Organismen verbietet, ist bis Ende 2025 verlängert worden. Gleichzeitig hat das Parlament dem Bundesrat aber auch den Auftrag erteilt, einen Erlassentwurf zu unterbreiten für eine risikobasierte Zulassungsregelung für Pflanzen und Saatgut, die mit neuen Züchtungstechnologien hergestellt wurden. Der Gesetzesentwurf soll Pflanzen berücksichtigen, die mit neuen gentechnischen Verfahren gezüchtet werden, die aber keine Fremdgene enthalten und einen Mehrwert für Landwirtschaft, Umwelt sowie Konsumentinnen und Konsumenten aufweisen.

Zukunftsfähige Landwirtschaft durch fortschrittliche Züchtungsmethoden

Der Verein «Sorten für Morgen» plädiert für eine starke Pflanzenzüchtung und eine offene Haltung gegenüber neuen Züchtungsverfahren. Die Argumentation beruht unter anderem auf der Überzeugung, dass der Anbau von Pflanzen – die Basis jeder landwirtschaftlichen Produktion – durch die Anwendung innovativer Technologien optimiert werden muss, erklärte Jürg Niklaus, der Vereinspräsident von «Sorten für Morgen», während seines Gastreferats bei der Delegiertenversammlung des Schweizer Obstverbands.

Die Argumente für die neuen Züchtungstechnologien sind laut Verein vielfältig: Sie versprechen, die Effizienz und die ökologische Nachhaltigkeit der Landwirtschaft zu verbessern, indem sie die Entwicklung robuster und produktiver Pflanzensorten ermöglichen. Angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Nahrungsmittelknappheit betonte Jürg Niklaus in seinem Referat die Notwendigkeit, Forschung und Entwicklung zu fördern und den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu reduzieren sowie die Schweizer Pflanzenproduktion wettbewerbsfähig und autonom zu halten. Der internationale Trend und die Fortschritte in der Gentechnik würden die Dringlichkeit untermauern, aktuelle Regelungen zu überdenken und das Moratorium zu überwinden. «Die Tage des Genmoratoriums sind gezählt», so Jürg Niklaus.

Schweiz könnte zurückfallen

In seinem Gastreferat hob Jürg Niklaus ausserdem die Bedeutung der sogenannten Gen-Schere CRISPR/Cas und anderer moderner Züchtungsmethoden hervor. Diese Technologien ermöglichen es, Pflanzen effizienter und präziser als je zuvor zu züchten, indem gezielt Veränderungen im Erbgut vorgenommen werden, ohne fremdes Erbmaterial einzuführen.

Diese modernen Methoden könnten die traditionelle Züchtung revolutionieren, indem sie schneller und gezielter neue Sorten entwickeln, die den landwirtschaftlichen Ertrag steigern und gleichzeitig die Umweltbelastung minimieren, so Jürg Niklaus. Und er warnte davor, dass die Schweiz technologisch und wettbewerblich zurückfallen könnte, sollte sie sich gegen eine Liberalisierung der neuen Züchtungsverfahren entscheiden.

Delegiertenversammlung des Schweizer Obstverbands

An der diesjährigen Delegiertenversammlung des Schweizer Obstverbands sprach der Präsident des Vereins «Sorten für Morgen», Jürg Niklaus, in einem Gastreferat zum Thema neue Züchtungsverfahren. Daneben trat auch Bundesrat Albert Rösti auf und zeigte sich in seiner Allokution an langfristigen und zukunftsorientierten Lösungsansätzen für den Schweizer Obstbau interessiert. Als Vorsteher des UVEK sind ihm mit dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Raumentwicklung zwei Schlüsseldepartemente der Obstbaubranche direkt unterstellt. Seine Ausführungen stimmten zuversichtlich, dass die Anliegen der Schweizer Obstproduzentinnen und Obstproduzenten in Bundesbern Gehör finden, so der Schweizer Obstverband in einer Mitteilung.

An der Delegiertenversammlung blickte der Schweizer Obstverband auch auf ein ereignisreiches Obstjahr zurück: Die Erträge waren durchschnittlich und von guter Qualität – Witterung und Schädlingsdruck führten bei gewissen Kulturen allerdings zu Ernteausfällen. Ausserdem standen die Gesamterneuerungswahlen des Vorstandes im Zentrum. Jürg Hess wurde als Verbandspräsident bestätigt und tritt damit seine zweite Amtsperiode an. Mit Hansruedi Wirz und Xavier Moret traten zwei langjährige Produzentenvertreter aus dem Vorstand zurück. An ihre Stelle wurde die Produzentenvertreter Thomas Lehner und Julien Taramarcaz neu gewählt. Die weiteren bisherigen Vorstandsmitglieder wurden von den Delegierten für die neue Amtsperiode bestätigt. Die statutarischen Geschäfte sowie die Jahresrechnung wurden von den rund 70 Delegierten einstimmig genehmigt.

Neue Züchtungsverfahren auf der politischen Bühne

Währenddessen plant nämlich das EU-Parlament, die Vorschriften für den Einsatz neuer Gentechnik in der Landwirtschaft zu lockern, was darauf hindeutet, dass der Einsatz solcher Technologien in naher Zukunft zunehmen könnte. Das EU-Parlament erkennt damit die Bedeutung dieser Technologien an, fordert jedoch gleichzeitig eine klare Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

Auch Bundesrat Albert Rösti bestätigte in seiner Allokution an der Delegiertenversammlung des Obstverbands, dass die Schweizer Exekutive die Potentiale der neuen Züchtungstechnologien anerkenne, unterstrich aber den risikobasierten Ansatz, der zwar Innovationen ermögliche, gleichzeitig aber auch die Bedenken der Bevölkerung ernst nehme.

Obwohl eine Orientierung am Vorschlag der EU-Kommission angestrebt werde, solle durch eine behutsame Öffnung und stärkere Kontrollmechanismen ein Gleichgewicht zwischen technologischem Fortschritt und Vorsorgeprinzip gefunden werden. Dieser Ansatz spiegelt laut Bundesrat das Bestreben wider, die Chancen neuer Züchtungstechnologien zu nutzen, ohne die Prinzipien der Vorsorge und des Umweltschutzes zu vernachlässigen.

Die Bedeutung einer informierten Debatte

Die Diskussion um neue Züchtungsverfahren in der Schweiz steht stellvertretend für eine globale Auseinandersetzung zwischen Fortschritt und Tradition, zwischen technologischer Innovation und ökologischer Nachhaltigkeit. Während Befürworter die Vorteile für die Landwirtschaft und die Umwelt betonen, bleiben Fragen bezüglich der langfristigen Auswirkungen und der Akzeptanz in der Bevölkerung bestehen.

Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um einen Weg zu finden, der sowohl den Anforderungen der modernen Landwirtschaft gerecht wird als auch den Werten der Schweizer Bevölkerung Rechnung trägt. Es steht ausser Frage, dass eine breite, informierte Debatte notwendig ist, um die Weichen für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft richtig zu stellen.

Kritische Haltung der Schweizer Allianz Gentechfrei

Die Schweizer Allianz Gentechfrei SAG hat eine starke Opposition gegen den kürzlichen Vorstoss des EU-Parlaments zur Deregulierung neuer genetischer Technologien geäussert. Laut SAG birgt dieser Beschluss das Risiko, dass über 90 Prozent der derzeit in Entwicklung befindlichen gentechnisch veränderten Kulturen ohne gründliche Risikoprüfung eingeführt werden könnten. Obwohl das Engagement für die Kennzeichnung aller gentechnisch veränderten Organismen als Schritt in die richtige Richtung gesehen wird, kritisiert die SAG die Kategorisierung von gentechnisch veränderten Pflanzen als wissenschaftlich unbegründet und warnt vor irreversiblen Konsequenzen für Ökosysteme.

Auch die Genehmigung des Bundesamts für Umwelt für Freilandversuche mit CRISPR-Cas-modifizierter Gerste bei Agroscope sieht die SAG kritisch. Die SAG erkennt zwar die Bedeutung des Voranbringens des Verständnisses von gentechnisch veränderten Pflanzen an, hinterfragt jedoch den direkten Nutzen dieses Versuchs für eine nachhaltigere Schweizer Landwirtschaft. Unter Hinweis auf die Zusammenarbeit des Forschungsteams mit Industriegiganten warnt die SAG vor möglichen Patentimplikationen und der fragwürdigen Relevanz der gewählten Gerstensorte für die Schweizer Landwirtschaft und argumentiert, dass Verbesserungen der Erträge nicht inhärent zur Nachhaltigkeit beitragen.

Angesichts dieser Entwicklungen fordert die SAG in der Schweiz unter anderem eine strenge Regulierung neuer genetischer Technologien innerhalb des bestehenden Gentechnikrechts, um die Wahlmöglichkeit für Verbraucher und Produzenten, Transparenz durch Kennzeichnung und eine umfassende Risikobewertungen zu gewährleisten. Ausserdem verlangt die SAG, dass Innovationen nicht nur den Interessen der Industrie dienen, sondern einen nachhaltigen Wandel in der Landwirtschaft fördern.