Zecken auf dem Vormarsch: Ein Risiko für die Berglandwirtschaft?

Klimawandel und veränderte Umweltbedingungen führen zu einer Zunahme der Zeckenpopulationen auch in höheren Lagen. Das beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit des Viehs, sondern auch die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion.
Zuletzt aktualisiert am 15. August 2024
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
Insekten Zecke Pexels Erik Karits

In den letzten Jahren haben sich in den Berg- und Alpgebieten zunehmend Berichte von Landwirtinnen und Landwirten sowie Sennerinnen und Sennern gehäuft, die eine Zunahme von Zeckenpopulationen beobachten. Diese Entwicklung stellt nicht nur eine gesundheitliche Bedrohung für das Vieh dar, sondern beeinflusst auch direkt die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion.

Ein wachsendes Problem: Zecken in höheren Lagen

Josef Doppmann, Leiter der Melkberatung bei der Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten ZMP, bestätigt die zunehmende Verbreitung von Zecken: «Ja, uns sind einzelne Betriebe bekannt, die vermehrt mit Zecken zu kämpfen haben», erklärt er. Die Situation betreffe vor allem Weidebetriebe. «Daten über die Anzahl betroffener Betriebe haben wir allerdings nicht und auch regional lässt sich keine Aussage machen», fügt er an. Die vage Datenlage erschwert es, das Ausmass des Problems genau zu erfassen, doch betroffene Landwirtinnen und Landwirte spüren die Auswirkungen bereits deutlich.

Auch Dr. med. vet. Michèle Bodmer, Leiterin des Departements für klinische Veterinärmedizin an der Universität Bern, sieht in der wachsenden Verbreitung von Zecken ein zunehmendes Problem: «Die Problematik wurde in den letzten 5 Jahren vermehrt beschrieben», bestätigt sie. Dies deutet darauf hin, dass es sich nicht nur um ein vorübergehendes Phänomen handelt, sondern um eine langfristige Veränderung, die die Viehhaltung in den Alpen beeinflussen könnte.

Klimawandel als Motor der Zeckenausbreitung

Die Ursachen für die zunehmende Zeckenproblematik sind vielschichtig, aber der Klimawandel spielt eine zentrale Rolle. «Vor etlichen Jahren kam die häufigste Zecke in der Schweiz, Ixodes ricinus, bis auf maximal 1’000 Metern über Meer vor – diese Grenze ist im Zuge der Klimaveränderung deutlich angestiegen und wird mittlerweile auf etwa 2000 Metern über Meer geschätzt», beschreibt Prof. Dr. Caroline Frey, Co-Direktorin des Instituts für Parasitologie an der Universität Bern, die Situation. Und durch die milderen Temperaturen können die Zecken im Winter nun auch in höheren Lagen überleben, was früher kaum der Fall war.

Daniela Serio, Leiterin der Abteilung Beratung und Kommunikation bei Info Fauna, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Fauna, ergänzt: «Die veränderten klimatischen Bedingungen könnten ein Grund dafür sein, warum die Zecken unter anderem in Lagen zwischen 500 und 1’000 Metern über Meer zunehmen.» Trotz der Zunahme in mittleren Höhenlagen blieben Zecken oberhalb von 1’500 bis 2’000 Metern über Meer aber noch relativ selten, sagt sie. «Dieses Jahr könnte die erhöhte Feuchtigkeit in den Frühlings- und Sommermonaten aber zu einer stärkeren Ausbreitung geführt haben», erklärt sich Daniela Serio eine möglicherweise erhöhte Zeckendichte auf den Alpen in diesem Jahr.

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Neue Zeckenarten und veränderte Krankheitsbilder

Neben den heimischen Zeckenarten treten in der Schweiz zunehmend auch neue Arten auf, die durch den Klimawandel begünstigt werden: «Beispielsweise Hyalomma marginatum – diese Zecken sind aber im Vergleich zu Ixodes ricinus und anderen ‹einheimischen› Zecken noch sehr selten», erklärt Prof. Dr. Caroline Frey. Die Anwesenheit solcher Arten könnte jedoch in Zukunft zu einer weiteren Verschärfung der Problematik führen, da sie möglicherweise neue Krankheitserreger übertragen.

«Zecken können verschiedene Krankheitserreger übertragen, die verursachen aber nicht primär Zellzahlerhöhung und Mastitis, eine schwere Entzündung der Milchdrüse und des Eutergewebes von Milchvieh», hebt Dr. med. vet. Michèle Bodmer die gesundheitlichen Risiken hervor, die durch Zecken für das Vieh entstehen. Stattdessen führen sie meist zu fieberhaften Erkrankungen wie dem Weidefieber, das durch Anaplasma phagocytophilum, ein Bakterium, das durch Zecken übertragen werden kann, verursacht wird. «Die fieberhaften Erkrankungen führen zu einem massiven Milchrückgang», erklärt Michèle Bodmer. Diese Krankheiten haben erhebliche Auswirkungen auf die Milchleistung und können für die betroffenen Betriebe ein ernstes wirtschaftliches Risiko darstellen.

Wirtschaftliche Auswirkungen und Herausforderungen für die Milchproduktion

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zeckenproblematik sind beträchtlich, insbesondere wenn die Milchqualität durch erhöhte Zellzahlen und veränderte Milchinhaltsstoffe beeinträchtigt wird. «Wenn eine Entzündung eintritt, sinkt die Milchleistung zum Teil stark und die Milchinhaltsstoffe sind verändert,» erläutert Josef Doppmann von der ZMP. Dies betrifft insbesondere die Kasein- und Calciumwerte, die für die Käseproduktion von entscheidender Bedeutung sind. «Speziell auf den Alpen, wo die Milch verkäst wird, hat das wirtschaftliche Folgen», fügt er hinzu und ergänzt: «Die Milch gerinnt nicht mehr richtig, es entsteht mehr Staub bei der Käseproduktion, dies führt zu Ausbeuteverlusten und Qualitätsproblemen.»

Diese Qualitätsprobleme können die Rentabilität der Milchproduktion erheblich mindern und dazu führen, dass Landwirtinnen und Landwirte ihre Produktionsmethoden allenfalls überdenken müssen: Was tun mit der Milch, wenn sie die für die Käseproduktion erforderlichen Qualitäten nicht mehr erfüllt? Allenfalls kann anstelle von Milchproduktion beispielsweise auf die Mastkälberhaltung umgestellt werdem, um wirtschaftliche Verluste zu minimieren.

Präventionsstrategien und Behandlungsansätze

Die Bekämpfung der Zecken stellt Landwirtinnen und Landwirte, aber auch Tierärztinnen und Tierärzte vor Herausforderungen, denn derzeit gibt es nur wenige wirksame Massnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung des Zeckenbefalls. «Der einzige zugelassene Wirkstoff für die Zeckenabwehr ist das Insektizid Deltamethrin, mit einer allerdings sehr kurzen Wirkdauer», erklärt Dr. med. vet. Michèle Bodmer. Die kurze Wirkungsdauer und die damit beschränkte Wirksamkeit dieses Mittels machen eine Prävention schwierig.

Josef Doppmann beschreibt einige der Massnahmen, die Landwirtinnen und Landwirte ergreifen können, um den Zeckenbefall zu minimieren: «Wenn das Problem frühzeitig festgestellt wird, kann mit gewissen Massnahmen wie Insektenblocker, regelmässigem Entfernen der Zecken ab dem Euter, Einreiben der Euter mit Eukalyptussalbe oder Auszäunen von befallenen Weidestellen etwas Gegensteuer gegeben werden.» Zusätzlich können angepasste Weidemanagementpraktiken wie das Vermeiden von hohem Gras und das Fernhalten der Kühe von Hecken und Sträuchern helfen, den Kontakt mit Zecken zu reduzieren.

Eine zunehmende Verbreitung von Zecken in den Berg- und Alpgebieten kann aber sehr schnell zu einem ernstzunehmenden Problem werden, das sowohl die Gesundheit des Viehs als auch die wirtschaftliche Lage der Milchproduzentinnen und Milchproduzenten beeinträchtigt: Klimatische Veränderungen, die neue Zeckenarten begünstigen und die damit verbundenen Krankheiten stellen Landwirtinnen und Landwirte vor neue Herausforderungen.