Verlustängste verhindern Veränderung

Die Essgewohnheiten müssten sich ändern, um nachhaltiger zu sein. Darüber sind sich viele einige. Dennoch ändert sich wenig. Weshalb das so ist und was man dagegen tun könnte, war Thema des 6. Future Food Symposiums unter dem Titel «Die Konsumentenversteher*innen». Eines der wichtigsten Hindernisse sei, dass Menschen Angst vor Verlusten hätten.
Zuletzt aktualisiert am 13. Februar 2025
von Edith Nüssli
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2023 Kartoffeln Rho

Rösti gilt als Schweizer Nationalgericht. Die Kartoffel wurde jedoch erst nach einer europaweiten Hungersnot in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Grundnahrungsmittel anerkannt. Dabei kam sie schon im 16. Jahrhundert von Südamerika nach Europa. Daran erinnerte Marc Lutz, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaft und -Technologie SGLWT. Die Geschichte zeigt, wie schwierig es ist, neuartige Lebensmittel populär zu machen. Gründe dafür und Hebel, um eine nachhaltige, gesunde Ernährung in den Alltag zu integrieren, waren Thema des 6. Future Food Symposiums «Die Konsumentenversteher*innen».

Krankheit ist ein effektiver Hebel, Nachhaltigkeit nicht

In unserer Zeit seien ernsthafte Krankheiten der Grund, sein Verhalten zu ändern. Das sagte Gerhard Fehr, Gründer und Partner von FehrAdvice, einer Wirtschaftsberatung auf verhaltensökonomischer Basis. Nachhaltigkeit sei kein grosser Anstoss, weil die Auswirkungen des Konsumverhaltens nicht unmittelbar spürbar seien, sondern erst später sichtbar würden. Als wichtigen Hinderungsgrund nannte Fehr zudem die Verlustängste der Menschen: «Etwas zu verlieren, wird wenn möglich vermieden.» Neue Lebensmittel müssten deshalb so gestaltet werden, dass sie einen persönlichen Nutzen hätten, und zusätzlich zu den bereits bekannten angeboten werden.

Die Botschaft ist entscheidend

Auch was Menschen glaubten, was andere täten, bestimme ihr eigenes Verhalten, so Fehr weiter. So verändere der Hinweis «90 Prozent würden diese Option wählen» mehr als Druck, sich nachhaltiger zu verhalten. Auch der Hinweis auf Schweizer Qualität funktioniert im Gegensatz zur Auslobung «Diese Produktlinie spart 50 Prozent CO2».

Fabian Wahl, Mitglied der Geschäftsleitung von Agroscope, ergänzte, nachhaltige Ernährung müsse auch gesund sein. «Meist geht es nur um CO2, nicht um die enthaltenen Nährstoffe und ihrer Verfügbarkeit für die Menschen», stellt er fest. Für ihn sind die Konsumentinnen und Konsumenten der grösste Hebel. «Sie bekommen jedoch zu wenig Unterstützung», meinte Wahl.

Dabei ist viel Wissen vorhanden. Wenn der Food Waste reduziert würde, könnten 25 Prozent der Emissionen gespart und das Portemonnaie geschont werden. «Wenn wir uns entsprechend der Ernährungspyramide ernähren würden, würde der ökologische Fussabdruck um 52 Prozent reduziert», sagte Wahl auf Basis der Befragungsstudie menuCH. Für diese sind von Januar 2014 bis Februar 2015 rund 2000 Personen aus der Schweizer Wohnbevölkerung befragt worden.

«Die Konsumentenversteher*innen»

Tiefer in die Psychologie von Konsumentinnen und Konsumenten blicken. Dafür hat das 6. Future Food Symposium Fachpersonen aus Wissenschaft, Industrie und Praxis eingeladen. Unter dem Titel «Die Konsumentenversteher*innen» sprachen sie über Hebel, um eine nachhaltige, gesunde Ernährung in den Alltag zu integrieren. Thema war auch, wie echte Veränderungen anstossen werden können, nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig. Organisiert wurde das Symposium an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen vom Berufsverband der Hochschulabsolventen im Agro-Food-Bereich svial, von der Schweizerischen Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaft und -Technologie und von Swiss Food Research.

Das Verhalten wird nur wenig durch das Wissen beeinflusst

Befragungsstudien haben jedoch den Makel, dass nicht sicher ist, ob die Angaben der Realität entsprechen. «Bei Befragungen reagiert das Denken, nichts das unbewusste Verhalten», begründete der Agroscope-Forscher. Er plädierte deshalb dafür, mehr zu beobachten. So hat Agroscope in zwei Kantinen des Bundes erste Beobachtungsstudien durchgeführt. Eine Erkenntnis: Das Verhalten wird nur wenig durch das vorhandene Wissen beeinflusst. Weitere Beobachtungsstudien wird die Kantine auf dem neuen Agroscope-Campus in Posieux erlauben. Sie wird so ausgestattet, dass das Essverhalten umfassend beobachtet werden kann. Eine andere Möglichkeit ist, Social-Media-Daten auszuwerten. «Lebensmittel sind unter den Top 4 der geposteten Themen», bemerkte Wahl. Voraussetzung sei, die anonymisierten Daten zu erhalten.

Menu-Vorschläge und Informationen für nachhaltigere Kantinen

Wie das Startup «Food 2050» versucht, in Kantinen eine Veränderung hin zu einer nachhaltigeren Ernährung zu erreichen, erklärte Co-Gründer Christian Kramer. Nach einer umfassenden Analyse der Bedürfnisse und Wünsche bietet «Food 2050» den Küchenverantwortlichen leicht zugängliche Menu-Vorschläge und den Besucherinnen und Besuchern vielfältige Informationen zur Klimawirkung des Angebots. So zeigt ein Ticker vor der Kantine, welche Wirkung alles vor Ort konsumierte Essen auf das Klima hat.

Das Angebot kann dank der umfangreichen Datenbank von «Food 2050» laufend optimiert werden. «Wie das Angebot gestaltet wird, ist wichtig», betonte Cramer. Eine entscheidende Rolle spiele auch das Engagement der Küchencrew. Zudem dürften weder diese noch die Kantinen-Besuchenden überfordert werden. Aktuell nutzen 150 Kantinen das Menu-Leitsystem «Food 2050». «Alle zusammen haben innerhalb eines Jahres die CO2-Emissionen um 14 Prozent reduziert», sagte der Co-Gründer in Zollikofen. Ob all dieses Wissen und Beobachten reicht, um echte Veränderungen in 25 statt 250 Jahren anzustossen, wird sich zeigen.

HAFL: Neue Infrastruktur für Lehre, Forschung und Praxis

Neue Lebensmittel zu entwickeln, braucht entsprechende Infrastruktur. Deshalb hat die Hochschule für Agrar, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen in den letzten Jahren geplant, lobbiiert und investiert, um eine neue Verfahrenshalle einzurichten. In dieser stehen über ein Dutzend verschiedene Maschinen fürs Aufkonzentrieren übers Extrudieren und Kristallisieren bis zum Schäumen.

In der Grösse sind sie zwischen Versuchsküche und industrieller Produktion angesiedelt nach dem Grundsatz «mit wenig Ressourcen produktionsnah fabrizieren». Die neue Einrichtung soll praxisorientierte Lehre und Forschung unterstützen. Zudem können Startups, kleine Unternehmen und Betriebe der Lebensmittelindustrie die Infrastruktur nutzen. «Die Halle ist ein Katalysator für Lösungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem», hofft Ursula Kretschmar, Leiterin des Fachbereich Food Science & Management der HAFL.