Innovative Aquakultur: Von edlen Krebsen zu exquisiten Fischen
Mitten im Sinser Industriequartier, zwischen Autowerkstatt und Recyclinghof sitzen Geschäftsführer Florian Gemperle und Anlageleiter Christian Rüttimann in einem Containerbüro und bearbeiten die Bestellungen. Bestellt werden bei den beiden dynamischen Herren die Edelfische Masu-Lachs (Oncorhynchus masou) und Äsche (Thymallus thymallus), welche im Gebäude nebenan aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet werden.
Forschung in der Industriezone
Am Anfang des Abenteuers Aquakultur stand eine Idee von Alex Gemperle, Florian Gemperles Vater. Der Bauunternehmer wollte seinen Kunden ein unvergessliches Erlebnis kreieren, indem er ihnen beim Geschäftsessen selbstgezüchtete Flusskrebse vorsetzen konnte. So startete das Familienprojekt Edelkrebs AG 2013 mit ersten Versuchen zur industriellen Zucht von Edelkrebsen (Astacus astacus), der neben dem Dohlen- und Steinkrebs grössten der heimischen Krebsarten. Gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW tüftelten Gemperles daran, wie die Häutung der Krebse und somit deren Wachstum beschleunigt werden könnte. Zudem legten die innovativen Macher Polykulturen an, bei denen unten im Wasserbecken Krebse lebten, in der Mitte Fische und auf der Oberfläche Wasabi oder Brunnenkresse angepflanzt wurde. «Das parallele Handling der drei Kulturen war aufwändig, denn man konnte es nie allen Parteien recht machen, beispielsweise in Punkto Wasserqualität», sagt Florian Gemperle.
Als unrealisierbar musste die gewinnbringende Zucht von Edelkrebsen eingestuft werden. Das Wachstum der gefährdeten Art konnte nicht optimiert werden. Der Edelkrebs braucht mindestens fünf Jahre, um ein Lebendgewicht von 75 Gramm zu erreichen.
Dass eine Baufirma hinter dieser Aquakultur steht, liefert eine Erklärung, wieso sie in einem Industriequartier zu finden ist. Das Areal gehört dem Inhaber der Edelkrebs AG, Alex Gemperle. Dazu kommt, dass Aquakulturen – also Zuchten von Fischen, Krebstieren oder Algen – in der Schweiz nur im Industriegebiet betrieben werden dürfen. Da Fische und Krustentiere nicht als landwirtschaftliche Nutztiere gelten, können entsprechende Produktionsanlagen nicht in der Landwirtschaftszone stehen. Für Landwirte gibt es allerdings die Möglichkeit, in bereits bestehenden Bauten eine Aquakultur als Nebenerwerbsbetrieb zu führen.
Trotz des negativ ausgefallenen Versuchsprojekts sind die Krebse nicht ganz aus dem Angebot verschwunden. Florian Gemperle hat sich nun auf den Handel mit invasiven Krebsarten spezialisiert. Diesen Sommer konnten 300 Kilogramm durch Berufsfischer gefangene Rote Amerikanische Sumpfkrebse (Procambarus clarkii) von der Edelkrebs AG an die Kundschaft gebracht werden. Die Krebse werden in Sins getötet, schockgefrostet und dann weiterverkauft. «Der Krebshandel dient uns zur Quersubventionierung der Fischzucht», so Florian Gemperle.
Exklusivität statt Masse
Auf diese hat sich die Edelkrebs AG zwischenzeitlich ausgerichtet. 2021 war die Anlage mit Kreislauftechnologie betriebsbereit. Eingesetzt wurden zwei Fischarten, die sonst in der Schweiz nicht kommerziell gezüchtet werden – der japanische Masu-Lachs mit im Vergleich zum Atlantischen Lachs tiefem Fettanteil und die einheimische, vom Aussterben bedrohte Äsche.
«Mit einem Produktionsvolumen von jährlich 10 Tonnen, bewegen wir uns in einem Nischenmarkt und möchten dementsprechend exklusive Produkte anbieten», sagt Geschäftsführer Gemperle. Deshalb fiel die Wahl auf zwei Fischarten, die man sonst auf dem Schweizer Markt nicht erhält.
Als Vergleich dazu: die Grossen der Aquakulturbranche wie Swiss Lachs im bünderischen Lostallo oder Valperca in Raron im Kanton Wallis produzieren jährlich mehrere hundert Tonnen Atlantischen Lachs respektive Egli.
Ihr Wunschsegment, die Spitzengastronomie, mussten sich die Quereinsteiger erst erschliessen. Mittlerweile gehören über 100 Restaurants zu ihren Kunden. Gault-Millau-prämierte Starchefs wie Antonio Colaianni vom Freilager in Zürich, Atsushi Hiraoka vom Restaurant Mikuriya im The Dolder Grand oder Pietro Catalano vom CAAA in Luzern zaubern mit ihren Fischen exquisite Gerichte.
Tier- und Technikkenntnisse
Damit Spitzenprodukte entstehen, benötigt es einiges an Aufwand und das nötige Knowhow. Dazu hat sich Florian Gemperle, der hauptberuflich in der IT tätig ist, ein interdisziplinäres Team an Bord geholt. Anlageleiter Christian Rüttimann hat die fachspezifische berufsunabhängige Ausbildung (FBA) zum Betrieb einer Aquakultur absolviert. Er überwacht die Anlage und kontrolliert die Fischbestände, ist für die Qualitätssicherung verantwortlich und übernimmt die Pflege der Kundenbeziehungen. Der Fischwirt Philipp Flatau ist zuständig für das Handling, die ein bis zweimal wöchentlich durchgeführte tierschutzgerechte Tötung und Schlachtung sowie die Verarbeitung der Fische.
Diese wachsen in einer Kreislaufanlage heran, zu der ein Brutsystem, 13 Mastbecken und ein Muttertierbecken gehören. Bisher sind in der Schweiz laut der Koordinationsstelle Aquakultur Durchflussanlagen am meisten verbreitet. Dabei wird ein Teil eines Fliessgewässers, Quell- oder Grundwasser durch die Zuchtbecken geleitet. Bei der Produktion mit Kreislauftechnologie wird das aus den Becken abfliessende Wasser mechanisch und biologisch gereinigt, keimreduziert, entgast, mit Sauerstoff angereichert und danach wieder in die Fischbecken zurückgeleitet. Die Produktion in einem solchen geschlossenen System reduziert den Einfluss von Umweltfaktoren und die Fischgesundheit kann gut gewährleistet werden. Allerdings erfordert sie technische und biochemische Kenntnisse.
Sortieren und ausnüchtern
Die Edelkrebs AG erwirbt die zehn Tage alten Masu-Lachs Setzlinge bei Bachtellachs im Kanton Schwyz und zieht sie im Brutbecken auf. Haben die Jungfische ein Gewicht von 30 Gramm erreicht, werden sie in die Mastbecken versetzt. Dort wachsen die gepunkteten Lachse in nach Grösse zusammengestellten Gruppen heran. Etwa viermal in ihrem Leben werden sie sortiert. Nach einem Jahr Aufzucht erreichen die Fische ihr Schlachtgewicht von 600 bis 800 Gramm. Vor der Tötung werden sie zehn Tage in einem separaten Becken ausgenüchtert. Das Geosmin, eine Substanz, die von Bakterien verursacht wird, entweicht so aus den Fischen und damit auch der modrig-erdige Geschmack. Die Tötung erfolgt über elektrische Betäubung und dem anschliessenden Kiemenschnitt. «95 Prozent der Fische wird filetiert an unsere Kunden versandt, der Rest als ganzer Fisch oder geräuchert», so Florian Gemperle.
In einem Becken, das im Freien steht, wachsen Muttertiere der Äsche heran. Ab 2026 soll auch der Masu-Lachs zu 100 Prozent in Sins produziert und so auch hier vermehrt werden. Ein zeitintensives und diffiziles Unterfangen. Jedoch nicht so heikel wie bei der Äsche, die rund einen Zehntel des Produktionsvolumens ausmacht. «Die Äsche lässt sich leicht stressen, was bis zum Tod führen kann, deshalb reduzieren wir das Handling auf ein absolutes Minimum», erklärt Florian Gemperle. Neben dem langsamen Wachstum eine Herausforderung, mit der sich die Betreiber der Aquakultur arrangieren müssen.
Wirtschaftliche Produktion schwierig
Dazu kommen hohe Energiekosten, denen die Edelkrebs AG mit einer Photovoltaikanlage beikommt. Momentan funktioniert die Fischzucht zu 50 Prozent autark, das Ziel ist auf 70 Prozent eigene Stromversorgung zu kommen. Auch wenn Gemperles viel an ihrer Anlage selbst gebaut haben, war die Anschaffung der technischen Komponenten sehr kostspielig. «Kostendeckend wirtschaften wir noch nicht und ich denke, eine hochtechnologische Kreislauf-Aquakultur in unserer Grösse kann nur durch den Mix aus Produktion und Handel funktionieren», resümiert der Geschäftsführer.
Dies ist wohl der Hauptgrund, dass laut dem Schweizer Aquakultur Verband Stand 2020 nur rund 3 Prozent des Fischkonsums durch einheimische Produktion abgedeckt wird. Laut dem Verband produzierte die Schweizer Aquakultur im Jahr 2019 rund 2’100 Tonnen Fisch und Krustentiere, während der helvetische Konsum bei rund 76’000 Tonnen lag.
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