Agrarbericht: Positive Umweltentwicklungen und anhaltende Herausforderungen
Bei der Präsentation des diesjährigen Agrarberichts hob Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, ...
Landwirtschaft muss nachhaltig sein. Für die einen bedeutet das unter anderem mehr Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Wertschöpfung, aber auch mehr Wertschätzung – für die anderen bedeutet das mehr Biodiversität, Umweltschutz und mehr Sozialverträglichkeit. Ökologisch Lebensmittel zu produzieren und gleichzeitig davon gut leben zu können, ist nicht so einfach miteinander zu vereinbaren, wie dies auf den ersten Blick scheint.
Dass es für diese Problematik keine einfachen Lösungen gibt, darüber sind sich die landwirtschaftliche Produktion, Handel, Industrie und Forschung grundsätzlich einig. Das zumindest vermittelten IP-Suisse, der Nahrungsmittelkonzern Nestlé, Detailriesin Coop und die ETH Zürich an einer Veranstaltung zu «ganzheitlicher, naturnaher und nachhaltiger Lebensmittelproduktion» im Zürcher Weinland und betonten zudem, dass der Turnaround nur mit gemeinsamer Anstrengung gelinge.
«Klimaschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft sind Themen, die uns bei Coop umtreiben und es sind alles Themen, die wir nicht allein auf den Weg bringen oder allein Resultate erzielen können», sagte Salome Hofer, Leiterin für Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop. Es sei heute nicht mehr so einfach im Bereich Nachhaltigkeit Pionierleistungen zu erbringen, weil viele Nachhaltigkeitsthemen von verschiedenen Playern abhängig seien.
«Wir Bauern werden es allein nicht schaffen – wir brauchen von der Forschung bis hin zur Industrie und den Konsumentinnen und Konsumenten alle, damit wir diesen Weg weiter beschreiten können», appellierte auch Andreas Stalder, Präsident von IP-Suisse, an die Anwesenden.
Es sei ausserdem wichtig, dass nun ambitionierte Ziele verfolgt würden, fügte ETH-Professor Robert Finger an. «Es ist unser ganzes Ernährungssystem, das einen grossen Fussabdruck hinterlässt, nicht nur der einzelne Betrieb und darum ist es ganz wichtig, dass alle Akteure dementsprechend in die Pflicht genommen werden», führte er weiter aus.
Viel wichtiger noch, als nur ambitionierte Ziele zu haben, sei es aber, diese zu leben und umzusetzen: «Und da dürfen wir den schwarzen Peter nicht zwischen Produzenten und Konsumenten hin und her schieben.» Gemeinsame Absichtserklärungen zu erreichen, sei schon schwer genug, diese dann aber auch umzusetzen, sei ein Kraftakt und dafür brauche es alle – insbesondere auch die Industrie.
«Denn wenn die Industrie nicht mithilft, Ziele umzusetzen und nach vorne zu bringen und für verlangte Standards keine Prämien zahlt oder Mehrpreise über die Konsumentinnen und Konsumenten abgleicht, dann passiert nichts», meinte Robert Finger.
Man sei sich der Verantwortung durchaus bewusst, zeigte sich Nestlé-CEO Mark Schneider aufgeschlossen. Allerdings gebe es keinen einfachen und schnellen Lösungsweg, den man als Norm vorgeben könne. Der Weg hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft sei ein Weg der vielen kleinen Schritte: «Top-down-Lösungen gibt es nicht – es kann nur Lösungen geben, die bottom-up, einzeln und individuell für jede Lage erarbeitet werden.»
Jedes Land, jede Umgebung müsse landwirtschaftlich so tätig sein, wie es seine Umgebung zulasse und entsprechend seien die Lösungswege ebenso individuell. «Wir können ein ausgearbeitetes System nicht überall eins zu eins ganz genau gleich umsetzen, denn es herrschen nicht überall die gleichen Herausforderungen und Gegebenheiten – das heisst, wir müssen schauen, welche Risiken wir in unserer Wertschöpfungskette antreffen und welche Möglichkeiten wir haben, um diesen zu begegnen», unterstrich auch Coop-Nachhaltigkeitsspezialistin Salome Hofer den individuellen Ansatz.
So sei beispielsweise die Milchwirtschaft im Grasland Schweiz fest verankert und diese hierzulande aufzugeben, wäre weder für die Schweiz noch für die Ernährung weltweit eine Lösung, fügte Mark Schneider weiter an. Es gehe in der Schweiz darum, den CO2- und Methanausstoss pro Liter Milch so gut wie möglich zu senken. «Und wenn gesagt wird, es wird diesbezüglich eine Grenze erreicht, dann ist das richtig – aber nur vor dem derzeitigen Stand der Technik», zeigte sich Mark Schneider überzeugt.
«Gerade wenn es um die Ernährung der Kühe geht, tut sich zurzeit extrem viel und da ist zumindest zu erwarten, dass in den nächsten Jahren auch weitere Lösungen verfügbar werden, mit denen durchaus natürlich und ohne, dass das Ganze irgendwie mit anderen negativen Nebenwirkungen begleitet wird, der Methanausstoss weiter verringert werden kann», führte er weiter aus.
Sowieso sei die Schweiz prädestiniert, eine grosse Rolle zu spielen, auf dem Weg zu einer besseren, ökologischeren und nachhaltigeren Landwirtschaft. Die Schweiz biete ein Umfeld mit ausserordentlich hochausgebildeten und unternehmerisch denkenden Landwirtinnen und Landwirte sowie einer akademischen Forschung, die sich in der Agrarökonomie an der Weltspitze bewege.
«Hier können wir gemeinsam Ideen generieren, wir können sie mit innovativen, offenen und zukunftsgerichteten Landwirtinnen und Landwirten ausprobieren und wir können dann ausprobieren, was wir davon eben auf andere Grössenordnungen bringen oder auch in anderen Regionen anwenden können, die eben von ihrem Umfeld oder ihrer Umgebung sehr anders sind als die Schweiz», betonte Mark Schneider die Vorteile des Agrarstandorts Schweiz.
Die Schweiz könne tatsächlich in vielerlei Hinsicht wahnsinnig wichtige Signale senden, indem in der Schweiz fortschrittliche Lösungsansätze realisiert würden und dann anderswo angepasst auch umgemünzt werden könnten, ist auch Robert Finger von der ETH überzeugt: «Wo, wenn nicht hier in der Schweiz, kann ein Schritt hin zu einer landwirtschaftlichen Produktion, die extrem nachhaltig ist, getätigt werden? Wo, wenn nicht hier, wo wir wahnsinnig gut ausgebildete Landwirte und Fachkräfte sowie wahnsinnig starke Industrie haben. Wo, wenn nicht hier, wo Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gewillt sind, sehr viel Geld in die Landwirtschaft zu geben, dafür, dass gewisse Leistung gebracht werden und Direktzahlungen ermöglichen, dass viel ausprobiert wird und Risiken eingegangen werden und wo es einen Markt gibt, der es ermöglicht, diese Experimente in Wert zu setzen.»
Die Schweiz könne und müsse hier eine grosse Rolle spielen, denn die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Landwirtschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit sei sehr hoch – das sei aber auch richtig so und gleichzeitig ein guter Benchmark, unterstrich Robert Finger die Bedeutung der Schweizer Landwirtschaft weiter.
Bei diversen Besuchen auf Höfen, die neue regenerative Techniken ausprobierten, habe er immer wieder mitbekommen, wie die Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter zwei, drei oder sogar vier schwierige Jahre mit hohen Mehrkosten erleben mussten, dass es sich dann aber irgendwann bewährt habe, erzählte Mark Schneider. «Und wenn das die Schwierigkeiten sind in einem der reichsten Länder der Welt, kann man sich vorstellen, über alle Länder und in Umgebungen, die es wirtschaftlich sehr viel schwieriger haben, was das für eine schweres Unterfangen ist, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen», gab Mark Schneider zu bedenken.
«Wenn ich meinen Mitarbeitern sagen würde, dass sie in den nächsten 3 bis 4 Jahre härter arbeiten müssen, dafür aber weniger Geld verdienen, dann ist jedem klar, dass das nicht fair ist – und das gilt für die landwirtschaftliche Zulieferkette ebenso», illustrierte er weiter.
Mit jeder Saat, die ein Landwirt ausbringe, wette er auf den nächsten Herbst und dass er die Ernte einfahren kann. «Und wenn es zwei- oder dreimal daneben geht, ist die Existenz dieses Betriebes gefährdet und in einigen Ländern ist es sogar so, dass wenn eine Saison daneben geht, die Existenz bereits gefährdet ist», erläuterte Mark Schneider weiter. Vor dem Hintergrund müsse man Möglichkeiten finden, mit technischer, aber auch finanzieller Hilfe, das Risiko für die Landwirtinnen und Landwirte zu mindern und so die Hürden hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu senken.
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