Regionalprodukte aus dem Alpenraum auf die Bühne gehoben
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Bis gut einen Meter hoch ragt der Gelbe Enzian (Gentiana lutea) aus wenig genutzten Bergwiesen heraus. Er wächst auf kalkhaltigen Böden in einer Höhenlage von 750 bis 2'500 m in den voralpinen und alpinen Regionen der höheren Mittelgebirge Zentral- und Südeuropas und Kleinasiens. Der Getüpfelte Enzian (Genitiana punctata) hingegen wird rund 40 cm hoch und liebt kalkarmen Boden.
Seit der Antike wird Enzian für Heilzwecke verwendet. So soll er u.a. verdauungsfördernd, entschlackend, fiebersenkend, erfrischend, speicheltreibend, aufbauend, wurmtreibend und stimulierend sein. Dabei wird vor allem die bis zu einem Meter lange Wurzel, das Rizom, ausgegraben und zu Schnaps verarbeitet.
Auch in der Schweiz. Besonders im Waadtländischen und Berner Jura, wo er auch unter dem Namen Jänzene bekannt ist. Vielerorts artete es aus. Die Pflanze wurde geschützt, das Ausgraben verboten oder streng geregelt.
In Galtür, im Paznaun im Westen Tirols, hat der Enzianschnaps eine besondere Tradition. Bereits anfangs des 17. Jahrhunderts wurde das Recht zum Ausgraben des Getüpfelten Enzians erwähnt. Als die Pflanzen in den 1980er-Jahren unter Naturschutz gestellt werden sollten, kam es zu Unruhen.
Die Galtürer erstritten sich vor Gericht eine Ausnahmeregelung. Seither wird am Kirchtag am 8. September per Los entschieden, welche 13 Familien je 100 Kilogramm Wurzeln im alpinen Gelände mit Pickel und von Hand ausgraben dürfen.
Eine harte Arbeit mit geringem Ertrag. Daraus entstehen rund sechs bis sieben Liter Schnaps. Eine Rarität. Entsprechend wird der aromatisch-erdige Wurzelbrand nur Freunden und bei besonderen Gelegenheiten angeboten. Dank der langen Tradition und dem handwerklichen Können zählt der selbstgebrannte Enzianschnaps seit 2013 zum immaterialen Kulturerbe Österreichs.
Hermann Lorenz arbeitet in der Verwaltung bei den Bergbahnen im Paznauntal. Daneben ist er passionierter Edelbrandsommelier. Er kennt die Tradition und die Mühen, die hinter einem Enzianschnaps stehen. Ihn reizte es, hobbymässig auf einem Feld seines Vaters etwas anzubauen, was ins Tal passte.
Ackerbau ist hier auf gut 1500 Meter fremd. Graswirtschaft prägt das Tal. Dennoch kam er auf die Idee, den Gelben Enzian anzubauen; die einzige Enziansorte die sich kultivieren lässt. In einer Kooperation mit der Landwirtschaftskammer Tirol und der Münchner Agrarbiologin Centa Kirsch startete er 2017 das Projekt «Galtürer Enzian».
Von Hand wurden 12'000 Jungpflanzen gesetzt, gezogen aus Samen, die zuvor über fünf Monate bei null Grad aufbewahrt wurden. «Säht man sie direkt, keimt der Samen nicht.», weiss Hermann Lorenz aus Erfahrung. Auch sonst lernte er in den ersten Jahren viel durch «Versuch und Irrtum».
Da der Enzian nur langsam wächst, nimmt das Unkraut rasch überhand. Bodengewebe deckt heute zumindest die Fläche zwischen den Blumenreihen ab. Das Jäten von Hand zwischen den Reihen bleibt. «Für mich ist das wie für andere Yoga», meint der ruhige, kommunikative Mitfünfziger. Als biologischen Dünger haben sich getrocknete Pellets aus Resten der Zuckerrübenverarbeitung als wirksam gezeigt. Violette Blätter sind ein Zeichen, dass den Pflanzen etwas fehlt.
Jahr für Jahr kommen neue Jungpflanzen dazu. Auf einem Feld von rund 6000 m2 wachsen nun rund 40'000 Pflanzen. Die hohen, gelbblühenden Enziane sind anfangs Juli eine Augenweide mitten im Grün der Wiesen, im Tal, das von der Verwallgruppe im Norden und der Silvretta- und der Samnaungruppe im Süden eingerahmt wird. Im Hintergrund die Ballunspitze.
Im Herbst 2021 war es zum ersten Mal so weit, dass Hermann Lorenz mit vielen Helfern und Helferinnen Wurzeln ausgraben konnte. «Es ist eine harte Handarbeit, unterstützt mit einem einfachen Pflug mit einer Winde. Zudem muss beim Putzen der Rizome sauber gearbeitet werden, damit die Meische später nicht verunreinigt ist», weiss der Schnapskenner.
Damit keine Essigsäure entsteht, müssen die Wurzelstücke noch am selben Tag mit Wasser und Reinzuchthefe angesetzt werden. Nach acht Wochen Gärung beginnt das Destillieren, wo Lorenz nur den Mittelbrand will. Von Natur aus schlüsselt sich nur eine der drei Zuckerarten der Wurzel auf. Mit Wissenschaftlern der Universität Hohenheim tüftelt er daran, wie sich alle drei umwandeln lassen. Seinen Enzner mit 42 Volumenprozent verkauft er für 250 bis 300 Euro pro Liter. Die Warteliste ist lange.
Alexandra Walter, Hermann Lorenz Ehefrau, ist Aerztin mit einer Zusatzausbildung in Phytotherapie. Während der Coronazeit kam ihr und ihrer Freundin Heidrun Walter die Idee, auch die Blüten und Blätter des Enzians für Kosmetika nutzbar zu machen. Die Bitterstoffe, die Amarogentin, sind nämlich nicht nur in der Wurzel.
Doch auch dafür braucht es die ganze Familie und den Freundeskreis, wenn es darum geht, innerhalb von sechs Stunden ein paar Hundert Kilo Blüten und Blätter zu ernten. Diese müssen noch am Abend in einer Trocknerei sein, damit schliesslich ein Extrakt in Arzneimittelqualität entsteht. Der Rohstoff für ihre Lotion, Duschseife, Seife und Handcreme. Auf der Haut wirkt die Crème entzündungshemmend und wirkt gegen trockene Haut.
Während der Schnaps ganz ohne Zusatzstoffe auskommt, ist hier der nach nasser Erde riechende Duft nicht gefragt. Die Pflegemittel sind bei lokalen Hotels und in der Silvrettatherme in Ischgl gefragt. Dazu vermarkten die zwei Frauen die Produkte über ihren Online-Shop. Zum Erfolg beigetragen hat auch die Ernennung des Gelben Enzians zur Heilpflanze des Jahres 2022.
Amarogentin ist der bitterste bekannte Naturstoff
Die Pionierarbeit der Familie Lorenz und Walter zieht weitere Kreise. Das Enzianfeld liegt an einem frequentierten Veloweg. Eine grosse Tafel macht auf das Projekt aufmerksam. Daneben ein Bienenhotel, das er mit den Schulkindern vor Ort iniziert hat. Ein Imker hat seine Bienenvölker am Feldrand platziert. In seinem Honig lässt sich der Enzian nachweisen.
An der Fachhochschule in Kramsach fand in der Glasschule ein Wettbewerb statt. Das erstplatzierte Glas für den Edelbrand wird im Herbst 2024 als Prototyp geblasen. Auch Köche und Confiseure im Tal kommen auf den erdigen Geschmack des Enzians. Allerdings braucht es ein feines Gespür. Amarogentin ist der bitterste bekannte Naturstoff. Er ist in einer Verdünnung von 1:58 Millionen noch spürbar.
Enzianschnaps hat in der Schweiz ebenfalls eine lange Tradition. Es gibt zahlreiche Sorten. Einfach Ausgraben darf man die aber nicht, es gibt zahlreiche Regularien, die sich je nach Art und Region unterscheiden.
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