Die Wildschweinschäden im Griff

Die Wildschweinbestände in der Schweiz nehmen stetig zu. Die nachhaltige Regulation der Wildschweinbestände ist eine der grössten Herausforderungen der heutigen Jagd. Dadurch sollen die Schäden in der Landwirtschaft tragbar bleiben.
Zuletzt aktualisiert am 12. Januar 2023
von Renate Hodel
4 Minuten Lesedauer
Inhalte dieser Seite

Vor 150 Jahren lebten in der Schweiz keine Wildschweine mehr: Aufgrund der grossflächigen Abholzung und Übernutzung der Wälder im 19. Jahrhundert oder der freiheitlichen Volksjagd verschwanden galten die Wildtiere in ganz Europa als ausgerottet. Im 20. Jahrhundert eroberten sich die Wildschweine weite Teile ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets zurück und wanderten vor rund 40 Jahren von Frankreich, Deutschland und Italien in die Schweiz ein.

Das Wildschwein ist zurück

In der Schweiz besiedeln Wildschweine heute wieder Teile des Tessins und des Rhonetals, haben sich in den letzten 40 Jahren insbesondere entlang des Jurabogens und im schweizerischen Mittelland stark ausgebreitet. Allerdings seien genaue Zahlen schwierig zu ermitteln, da Wildschweine nicht einfach zu zählen seien, erklärt David Clavadetscher, Geschäftsführer des Dachverbands der Schweizer Jägerschaft JagdSchweiz: «Bedingt durch die menschlichen Aktivitäten in der Natur haben sich die Wildschweine angepasst, sind meist nachtaktiv geworden und halten sich störungsbedingt oft in Dickungen und im Wald auf», erklärt er. Die Entwicklung des Wildschweinbestandes lasse sich aber über die Abschussstatistik und die Wildschadenstatistik ermitteln.

Und die Jagdstatistik zeigt, dass die Abschusszahlen in den letzten Jahren zugenommen haben. Die Abschüsse schwanken von Jahr zu Jahr zwar stark, der Trend ist aber steigend und in den letzten zehn Jahren lagen die Abschusszahlen gesamtschweizerisch immer bei mindestens 6’000 Tieren und erreichten 2019 und 2021 gar eine Rekordzahl von fast 13’000 Abschüssen.

Die Jagdstrecke bezeichnet die gesamte auf der Jagd erlegte – oder eben gestreckte – Jagdbeute innerhalb eines bestimmten Gebietes und Zeitraums. Die Jagdstrecke wird in der Schweiz in der eidgenössischen Jagdstatistik erhoben, die jährliche, detaillierte Daten enthält.

Bestand nimmt zu

So hat sich der Wildschweinbestand in der Schweiz in den letzten Jahren entwickelt und ist gewachsen – allerdings nur in den bereits besiedelten Gebieten. «Wir können praktisch nicht feststellen, dass Wildschweine neue Gebiete besiedeln», erklärt David Clavadetscher. Das zeige das Beispiel des Kantons Luzern, führt der JagdSchweiz-Geschäftsführer weiter aus: «Luzern grenzt an die stark von Wildschweinen besiedelten Kantone Zürich, Aargau und Bern sowie nahe dazu auch Solothurn – und trotzdem hat eine Besiedelung im Kanton Luzern in den vergangenen 20 Jahren nicht stattgefunden.» Und dies obwohl in derselben Zeit in den benannten Kantonen die Jagdstrecke fast überall zugenommen habe.

Zwar sei das Potential zur Besiedelung von neuen Gebieten grundsätzlich vorhanden, passiere aber im Moment so nicht. «Ob allerdings nur menschengeschaffene Hindernisse wie Strassen oder die dichte Besiedelung die Ausbreitung einschränken oder ob die Wildschweine sich nur bedingt ausbreiten, sofern ihnen das Habitat passt, ist aus unserer Sicht nicht erhoben», erläutert David Clavadetscher weiter.

Auch Wildschweinschäden tendenziell etwas höher

Während der Wald von durchwühltem Boden profitiert, bedeuten hohe Wildschweinbestände auch Schäden in der Landwirtschaft. So betrugen die vom Kanton Aargau erhobenen Wildschweinschäden 2018 gut 850’000 Franken, beim Kanton Jura waren es 2018 und 2019 zusammen rund eine Million Franken und der Kanton Waadt kam zwischen 2018 und 2021 auf gesamthaft rund 3,3 Millionen Franken an Wildschweinschäden.

Wildschweinvorkommen ohne Schäden in der Landwirtschaft sind jedoch nicht möglich. Die Schadenstatistik zeige aber, dass das Verhältnis gewahrt werde und sich die Situation nicht grundsätzlich verschärft habe, meint David Clavadetscher. «Die Schäden sind fast in allen Kantonen seit den Spitzenjahren 2018 und teilweise 2019 zurückgegangen – es kann in verschiedenen Kantonen ein zwei- bis Dreijahresrhythmus festgestellt werden, wo die Wildschäden und auch die Abschusszahlen jeweils etwas höher sind und somit sicher auch die Bestände», erklärt er. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn das Nahrungsangebot und die Witterung stimmten und viele Jungtiere überleben könnten.

Wildschweinschaden Ji

Schwierige Jagd

Die Erhaltung von angepassten Wildschweinbeständen und der Tragbarkeit der Schäden in der Landwirtschaft erfordert eine gewisse Balance. Und dafür ist mitunter die hiesige Jägerschaft zuständig. Die effektive und nachhaltige Regulation von Wildschweinbeständen ist allerdings eine der grössten Herausforderungen der heutigen Jagd. «Die Wildschweine sind heute primär nachtaktiv – dies erfordert zusätzlichen Einsatz von den Jägern, die ihre Aufgabe neben Familie, Beruf und gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrnehmen und die zudem Patent- und Pachtgebühren dafür zahlen, dass sie auf die Jagd gehen dürfen», erläutert David Clavadetscher.

Tatsächlich kann es bis zu 50 Stunden dauern, die ein Jäger ansitzen muss, um ein Wildschwein zu erlegen. Wildschweine riechen und hören sehr gut –der feinste Fremdgeruch oder das leiseste Geräusch kann sie zum Rückzug veranlassen. Ausserdem sind Wildschweine sehr lernfähig und meiden Stellen, an denen sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, über längere Zeit.

Zusammenarbeit mit Landwirten ist wichtig

Aktuell erfülle die Jagdseite ihre Aufgabe aber gut, meint David Clavadetscher. «Insbesondere dann, wenn die von Wildschäden betroffenen Landwirte willens sind, mit den lokalen Jägern zusammen zu arbeiten – es braucht ein Hand-in-Hand-Vorgehen bei der Wildschadensverhütung», erklärt er weiter. Eine sinnvolle Feldbewirtschaftung, Ablenkfütterung, Zäune, Schussschneisen, Waldabstände von Fruchtflächen, sowie die Möglichkeit Hochsitze zu stellen, erhöhe die Prävention von Schäden. Weiter sei immer zu bedenken, dass es gesetzliche Einschränkungen bezüglich Schonzeiten oder technischen Hilfsmitteln gebe. «Es ist nicht möglich, bei jeder Witterung zu jagen und nicht sinnvoll, dem Wild pausenlos nachzustellen», sagt David Clavadetscher. Dies führe nur zu Stressverhalten beim Wild und somit zu vielen dezentralen Schäden.

Zwei Jagdsysteme

Die Schweiz kennt je nach Kanton zwei Jagdsysteme: die Revierjagd und die Patentjagd. Im Gegensatz zu anderen Staaten verleiht der Grundbesitz in der Schweiz keinerlei Jagdrechte.

Patentjagd
Die Patentjagd erlaubt die Jagd auf dem ganzen Gebiet des Kantons – mit Ausnahme der eidgenössischen und der kantonalen Jagdbanngebiete. Die Jägerinnen und Jäger müssen beim Kanton ein Patent erwerben und dazu die Patentgebühr entrichten. Pro Patent darf eine bestimmte Anzahl Tiere erlegt werden. Die Jagdzeit ist auf wenige Wochen im Herbst beschränkt. Patentkantone sind: Bern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zug, Fribourg, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Jura.

Revierjagd
Beim Revierjagdsystem verpachten die politischen Gemeinden das Jagdrecht durch Vertrag an eine Gruppe von Jägern, die Jagdgesellschaft, für eine bestimmte Periode – in der Regel acht Jahre. Ende Saison müssen die Jäger dem Kanton melden, welche und wie viele Tiere sie erlegt haben. Die Anzahl Abschüsse hat einen Einfluss auf den Pachtzins. Revierkantone sind: Zürich, Luzern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Land, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau, Thurgau.

Spezialfall Regiejagd
Im Kanton Genf wurde die Jagd 1974 nach einer Volksabstimmung abgeschafft. Seitdem regulieren – wo nötig – staatlich besoldete Wildhüter die Wildhuftierbestände.