Schweizer Pflichtlagerhaltung: Stabilisierung und Zukunftssicherung in Krisenzeiten
Die Pflichtlagerhaltung sichert in der Schweiz wichtige Güter wie Getreide und Zucker. Zuletzt war die Pflichtlagerha...
Der von der EU-Kommission vermittelte «Deal» beendet die aktuellen agrar- und grenzpolitischen Spannungen an der EU-Ostgrenze zur Ukraine. Bereits zuvor ermöglichten rasche bilaterale Verhandlungen die schrittweise Lockerung der zeitweise vollständigen Grenzschliessungen für ukrainische Getreide-Exporte und weitere Agrargüter. Die seitens EU mit Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der Slowakei getroffene Vereinbarung stellt in erster Linie sicher, dass der Gütertransit für Getreide und weitere ukrainische Agrarerzeugnisse wieder ungehindert funktioniert.
Seit rund einem Jahr ermöglicht die EU angesichts des ausgeweiteten russischen Angriffskriegs den erleichterten Import von ukrainischen Agrargütern. Dies erleichterte den Ausbau von alternativen Logistikrouten via Ost- und Nordsee-Häfen. Angesichts der zeitweise vollständig blockierten und bis heute eingeschränkten Schwarzmeer-Route erwies sich diese Massnahmen als überlebenswichtig für die ukrainische Agrarwirtschaft. Diese Tatsache ist selbstverständlich den politisch Verantwortlichen namentlich in Polen und der Slowakei bewusst, für die sich die vergangenen Wochen als Eiertanz gestaltete. Entsprechend gross war der Wille zum Ausgleich zwischen den massiven Forderungen der einheimischen Landwirtwirtschaftslobby und der ansonsten nach wie vor gesellschaftlich stark verankerten Solidarität mit dem ukrainischen Abwehrkampf. Existentiell und symbolisch: Zeitgleich mit den Grenzschliessungen verkündeten Polen und die Slowakei die Lieferung von Kampfjets zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigung.
Zusätzlich für den raschen Abschluss der Vereinbarung förderlich: Die Erhöhung der agrarpolitischen Ausgleichszahlungen in der Höhe von 100 Millionen Euro an die fünf osteuropäischen Mitgliedstaaten, wie der aus Lettland stammende Handelskommissar Dombrovskis als Teil des «Deals» verkündete. Finanziert aus der EU-Agrarreserve soll gemäss vorliegenden Informationen ein Grossteil von etwa 39 Millionen Euro auf Polen entfallen, rund 30 Millionen Euro dürften nach Rumänien fliessen, während Ungarn 16 Millionen, Bulgarien 10 Millionen und die Slowakei 5 Millionen Euro aus der Agrarreserve erhalten sollen.
Die vorläufige Beruhigung der Situation ermöglich einen genaueren Blick auf die Hintergründe und auf die mittel- und langfristigen Herausforderungen. Diese sind mit der aktuellen Vereinbarung bestenfalls ansatzweise gemeistert. Viel waren in den Medienschlagzeilen die Rede von billigem «agroindustriellen» ukrainischen Getreide, das die Märkte der Nachbarländer überschwemme und die einheimische Landwirtschaft unter Druck setze.
In der Realität sind die osteuropäischen Nachbarländer keineswegs die Hauptzielmärkte der ukrainischen Exporte. Die Grenzschliessungen betrafen alle Sektoren der ukrainischen Agrarbranche unabhängig von der Betriebsgrösse und den erfüllten Standards. Notabene sind viele der Grossbetriebe der ukrainischen Biobranche seit Jahren nach Bio-Suisse-Richtlinien anerkannt und engagieren sich in Pionierbereichen wie in der klimaneutralen Landwirtschaft.
Eine weitere Erfolgsgeschichte war von den Grenzschliessungen direkt betroffen: Das in ganz Südosteuropa verankerte Anbauprogramm «Donau Soja», das insbesondere für die Schweiz einen Grossteil der GVO-freien Sojaversorgung sicherstellt. Zu einem substantiellen Anteil erfolgt der Donau-Soja-Anbau in der Ukraine. Die europa- und handelspolitisch gut vernetzte Donau-Soja-Organisation setzte sich denn auch entsprechend vehement für eine sofortige Aufhebung der Importeinschränkungen ein.
«Zeitweise war der Gütertransport auf der Schiene die einzige real funktionierende Logistiklösung.»
Von der EU-Politik geschweige denn einer grösseren Öffentlichkeit bemerkt, hat sich in der heissen Phase der Grenzschliessungen Historisches ereignet. Erstmals hat sich eine breite Allianz der ukrainischen Agro-Food-Branche mit einem gemeinsamen öffentlichen Statement an die EU-Kommission gerichtet. Die Kernbotschaft: «So nicht!» Die Verantwortlichen der Branche verlangen faire und transparente handelsrechtlichen Rahmenbedingungen beim Handel mit der EU. Tatsächlich fordern sie damit nur den Marktzugang, den die EU seit Beginn des russischen Angriffskriegs bereits gewährt – aber offensichtlich an ihren eigenen Aussengrenzen nicht durchzusetzen vermag.
Sie brauchten kein Mitleid, sondern Respekt und Partnerschaft, sagt Anastasiia Bilych als Marketing- und Nachhaltigkeitsverantwortliche der Agroindustrial Group Arnika Organic: «Wir erwarten Unterstützung nicht nur wegen des Krieges und wir bitten um Rücksichtnahme, weil wir trotz des Krieges Schöpfer und Innovatoren, Produzenten und Exporteure sind.» Mit insgesamt rund 18’000 Hektaren mit biozertifizierter Bewirtschaftung zählt Arnika Organic zu den grössten Biobetrieben Europas.
Anastasiia Bilych betont, die ukrainische Agrarbranche umfasse grosse und kleinere Betriebe und alle seien von den Grenzschliessungen gleichermassen betroffen gewesen. Kleine Betriebe und insbesondere die nachhaltige Biobranche mit ihrer starken Ausrichtung auf den europäischen Markt seien von Importeinschränkungen sogar besonders hart getroffen worden.
Unter den über 100 Ländern, die ökologische Agrarerzeugnisse in die EU exportieren, liegt die Ukraine mit einem Gesamtexport von 215’000 bis 230’000 Tonnen an der Spitze. Anastasiia Bilych ergänzt mit Blick auf die aktuelle Situation: «Das sind keine blossen Exportstatistiken, sondern die Mengen, die weiterverarbeitet, geliefert, verpackt und in die Regale der europäischen Supermärkte gestellt werden und entsprechend zertifiziert sind. Obwohl unter Kriegsbedingungen produziert, sind sie in Preis und Qualität wettbewerbsfähig – ohne Subventionen und staatliche Unterstützung.» Mit einem agrarpolitischen Gesamtblick gibt Anastasiia Bilych weiter zu bedenken: «Wenn sich die europäischen Landwirte durch die ukrainischen Exporte so verunsichert fühlen, sollte vielleicht das Modell des europäischen Agrarsektors und seine Effizienz überdacht werden?»
Logistikalternativen zur traditionellen Schwarzmeer-Logistik kommt eine grosse und wachsende Bedeutung zu. Hier kann Anna Nikova, Direktorin des Unternehmens UAB Global Ocean Link Lithuania (GOL LT) Unterstützung bieten: «GOL LT wurde 2017 in Vilnius gegründet, 2022 gefolgt von GOL Poland in Gdansk (Danzig). Unsere Wurzeln liegen in der Ukraine, wo unsere Muttergesellschaft 2009 in Odesa gegründet wurde.» Bereits anfangs 2020 haben Global Ocean Link Ukraine und Lithuania erfolgreich einen Containerzugdienst zum CTT-Terminal in Rotterdam, Niederlande, getestet.
Es braucht faire und verbindliche Regeln
Zu Beginn des russischen Angriffskriegs konnte das Unternehmen daher rasch und flexibel Alternativen zur Schwarzmeer-Logistik bieten. Anna Nikova erinnert sich: «Aufgrund unserer Erfahrungen konnten wir nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 kurzfristig unsere Dienstleistungen im Intermodalen Gütertransport auf der Schiene als Alternative und funktionierende Lösung anbieten. Zeitweilig war dies die einzige real funktionierende Logistiklösung.»
Die zeitweisen Grenzschliessungen trafen die GOL-Gruppe direkt und bedrohen die eben erst auf- und ausgebauten Dienstleistungen. Anna Nikova hat klare Erwartungen über den aktuell vereinbarten «Deal» hinaus: «Wir hoffen und verlangen eine Normalisierung, den konsequenten Rückzug aller politisch motivierten Restriktionen und eine Rückkehr zu verlässlichen Regelwerken!»
Offen für neue Kooperationen – auch in die Schweiz
Für die Schweiz und Deutschland sei die beste und preiswerteste logistische Lösung derzeit noch der Strassentransport, gefolgt vom ausbaufähigen Zugtransport mit Containern oder auf dem traditionellen Seeweg. Anna Nikova betont für das ganze Team der GOL-Gruppe die Offenheit für neue Partnerschaften entlang der Logistikkette: «Wir unterstützen unsere Kunden bei allen Aufgaben nach Bedarf sei es beim Strassentransport, Seemassengut, Umladungen, Zügen, Seecontainern bis hin zu Öl in LKW-Zisternen und Zelten mit Flexitanks und können dies in intermodalen Lösungen kombinieren.»
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