Wenn ein Milchbauer aufgibt

Die Milchproduktion steckt in der Krise. Alle zwei Tage wirft in der Schweiz ein Milchviehhalter das Handtuch. So auch Johan Viret, der Anfang 2024 beschloss, sich von all seinen Milchkühen zu trennen.
Zuletzt aktualisiert am 14. Februar 2024
von Pascale Bieri / AGIR
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Johan Viret posiert ein letztes Mal mit seinen Kühen und seinem Hund Lucky. (Pascale Bieri/AGIR)

In einem Vierteljahrhundert haben mehr als die Hälfte der Milchbauern ihre Tätigkeit aufgegeben. So ist ihre Zahl innerhalb von zehn Jahren von 24’369 im Jahr 2012 auf 17’603 im Jahr 2022 gesunken – was einem Rückgang von 6’766 Milchbäuerinnen und Milchbauern entspricht. Der Rückgang ist jedoch in erster Linie strukturell bedingt, denn parallel dazu bleibt die jährlich produzierte Milchmenge mit zirka 3,4 Millionen Tonnen mehr oder weniger stabil.

Eine schwere Entscheidung

Vor einigen Jahren posierte Johan Viret stolz neben seiner Kuh Ragusa für die Plakatkampagne «Schweizer Bauern. Von hier, von Herzen.» der Basiskommunikation des Schweizer Bauernverbandes. Das war 2018, sechs Jahre nachdem er den Familienbetrieb im waadtländischen in Villars-Tiercelin übernommen und in den Bau eines neuen Stalls für seine 40 Milchkühe investiert hatte – mit dem Ziel, ihnen alle modernen Wohlfühlmöglichkeiten bieten zu können.

Anfang 2024 dann der Donnerschlag: Der Landwirt beschliesst die Milchproduktion aus verschiedenen persönlichen und finanziellen Gründen aufzugeben und sich von all seinen Kühen zu trennen. «Ich hätte den Betrieb kein Jahr mehr auferhalten können», sagt der 35-Jährige, weniger verbittert als vielmehr erleichtert über die Entscheidung und fügt an, dass er über diese Entscheidung bereits seit einiger Zeit nachgedacht habe.

Es braucht einen angemessenen Milchpreis

«Uns wird gesagt, dass wir extensiv arbeiten und auf Praktiken setzen sollen, die auf umweltfreundlichen Techniken beruhen und deren Ziel nicht darin besteht, die Produktivität um jeden Preis zu steigern», erklärt Johan Viret. «Aber das derzeitige System führt dazu, dass wir nicht zurechtkommen, wenn wir nicht produzieren und immer intensiver züchten», versichert der Landwirt.

Mit einer Milchproduktion von 180 Tonnen Milch pro Jahr lag Johan Viret im Schweizer Durchschnitt. Eine durchschnittliche Produktion, die jedoch stetig steigt: Von 138 Tonnen im Jahr 2012 auf 185 Tonnen pro Betrieb zehn Jahre später. Das entspricht einer Steigerung von 34 Prozent in zehn Jahren. Eine Aufwärtskurve, der der Züchter nicht weiter folgen konnte.

«Ich bin alleine auf meinem Betrieb und könnte nicht mehr Tiere halten – damit betriebliche Strukturen wie die meinen aber überleben können, müsste man uns einen angemessenen Milchpreis zahlen», erklärt Johan Viret und ergänzt: «Die Leute glauben, dass wir von den Direktzahlungen leben. Die decken allerdings nur einen kleinen Teil der Einnahmen, die wir brauchen, damit der Betrieb funktioniert.»

Schicksalsschläge häuften sich

Die sich häufenden Rechnungen, die Arbeitsbelastung und mehrere schwere Rückschläge in den letzten Jahren haben Johan Virets Leidenschaft für seine Kühe getrübt. Im Jahr 2020 sei er bereits kurz davor gewesen, alles aufzugeben: «Meine Kühe und Färsen waren mit Klebsiella infiziert – Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind – und ich musste ein Drittel der Herde schlachten, darunter auch ‹Ragusa›», erzählt er und ergänzt: «Das war sehr hart.» Letztes Jahr verzögerte ein Deckproblem die Kalbungen und damit die Milchproduktion seiner Kühe, sodass er die monatlichen Milchmengen und damit den Vertrag mit der Genossenschaft Mooh nicht einhalten konnte. Ein unvorhergesehenes Ereignis, das zu Maluszahlungen führte, die seine Liquidität belasteten.

«Wir stehen ständig auf Messers Schneide – das ist kein Leben», sagt Johan Viret. «Letztes Jahr habe ich in einem Tiefbauunternehmen gearbeitet und habe zwei Wochen lang nachts mehr verdient, als wenn ich einen Monat lang sieben Tage die Woche auf meinem Bauernhof gearbeitet hätte und am Ende nur genug Geld hatte, um die Rechnungen zu bezahlen», gesteht er. «Man sollte nicht alles auf Geld ausrichten und das ist bei mir auch nicht der Fall, aber man muss trotzdem leben können», ergänzt Johan Viret. So würde der Landwirt auch gerne etwas mehr Zeit für sich haben, um eine Familie zu gründen und um ab und zu wegzufahren: «Seit ich den Betrieb übernommen habe, habe ich einmal zwei Wochen Urlaub gemacht.»

Interesse an Maschinen und Kulturen

Die Senkung des Milchpreises um zwei Rappen zu Beginn des Jahres und die gleichzeitige Erhöhung des Tarifs für den Transporteur, der die Milch jeden zweiten Tag abholt, von 24 auf 32 Franken pro Fahrt, brachten das Fass zum Überlaufen und führten schliesslich zur Entscheidung, die Milchproduktion aufzugeben.

Heute, so gesteht Johan Viret, fühlt er sich leichter. Er fand Käufer für seinen Melkroboter und seine Milchkühe. Von einer Kuh – einer Nachfahrin von Ragusa, der er besonders nahesteht – bleibt er Eigentümer: «Sie wird nicht mehr bei mir sein, aber ich möchte weiterhin die Entscheidungen treffen, die sie betreffen.»

Obwohl er die Milchkühe aufgibt, gibt der Landwirt den Beruf nicht auf. Auf den 35 Hektar seines Betriebs wird er seine Anbauflächen vergrössern, insbesondere für Zuckerrüben. «Ich mag den Ackerbau und die Maschinen sehr, daher wird mir das gut passen», erklärt Johan Viret. Da er sich seinen Hof aber nicht ohne Tiere vorstellen kann, wird er sicherlich auch einige Mutterkühe und Mastkälber haben.