Invasion der Arten: Exotische Problemtiere setzen Landwirtschaft und Umwelt unter Druck

Die globale Reise- und Handelstätigkeit hat zu einer zunehmenden Anzahl von gebietsfremden Arten in der Schweiz geführt. Während die meisten sich unauffällig in unsere Ökosysteme einfügen, können einige invasiv sein und erhebliche Schäden verursachen. Diese Arten sind unter anderem für die Umwelt und die Landwirtschaft ein grosses Problem.
Zuletzt aktualisiert am 5. Juli 2023
von Renate Hodel
8 Minuten Lesedauer
Asiatische Hornisse Dietemann Agroscope ZBF

Für uns Menschen und die Güter, die wir transportieren, stellen natürliche Barrieren wie Meere, Gebirge, Wüsten oder Flüsse heute keine unüberwindbaren Hindernisse mehr dar. Mit der globalisierten Reise- und Handelstätigkeit haben wir Menschen aber nicht nur Güter, sondern auch lebende Organismen in neue Gebiete gebracht, in die sie ohne menschliche Hilfe niemals gelangt wären. Diese eingeschleppten, gebietsfremden Arten, haben sich in der Schweiz etabliert und ihre Zahl nimmt stetig zu. Doch nicht alle sind harmlos. Einige von ihnen werden als invasiv bezeichnet und können erhebliche Schäden für die Umwelt, die biologische Vielfalt und die nachhaltige Nutzung der Ökosysteme verursachen.

Neobiota

In der Schweiz bezeichnet der Begriff Neobiota exotische Organismen, die absichtlich oder versehentlich in den europäischen Raum eingeschleppt werden. Sie gelten als invasiv, wenn ihre Ausbreitung ökologische, soziale oder wirtschaftliche Schäden verursachen kann.

Man unterscheidet drei Arten von Neobionten:

  • Neozoen – gebietsfremde Tiere wie beispielsweise die Kirschessigfliege
  • Neophyten – gebietsfremde Pflanzen wie beispielsweise das Erdmandelgras
  • Neomyzeten – gebietsfremde Mikroorganismen wie beispielsweise das Bakterium Erwinia amylovora, das die gefährliche Pflanzenkrankheit Feuerbrand verursacht

 

Neobiota können als Quarantäneorganismen eingestuft werden. Quarantäneorganismen sind Pflanzenkrankheiten oder -schädlinge von potenzieller wirtschaftlicher Bedeutung, die in der Schweiz nicht oder nur lokal auftreten. Diese müssen zwingend gemeldet und bekämpft werden. In der Schweiz gibt es aktuell 22 gebietsfremde Arten auf der Liste der prioritären Quarantäneorganismen, da von ihnen die grössten Schäden für die Landwirtschaft und den produzierenden Gartenbau sowie den Wald zu erwarten sind.

Situation in der Schweiz

Laut dem Bericht «Gebietsfremde Arten in der Schweiz» des Bundesamts für Umwelt BAFU sind in der Schweiz Stand 2022 insgesamt 1305 etablierte gebietsfremde Arten bekannt, darunter 430 Tiere, 730 Pflanzen und 145 Pilze. Von diesen werden 197 Arten als invasiv eingestuft. Das bedeutet, dass sie bekanntermassen oder wahrscheinlich Mensch und Umwelt gefährden, die biologische Vielfalt beeinträchtigen oder die Ökosystemleistungen und ihre nachhaltige Nutzung stören können.

Mit 31 Prozent stammen die meisten der in der Schweiz etablierten gebietsfremden Arten aus Asien, gefolgt von Europa mit 26 Prozent und Nordamerika mit 24 Prozent. Werden nur die invasiven gebietsfremden Arten angeschaut, stammen 41 Prozent aus Asien und 30 Prozent aus Nordamerika. Die Einbringung der hier gebietsfremden Arten kann auf verschiedene Weise erfolgen: 40 Prozent der etablierten Arten wurden absichtlich eingeführt und dann versehentlich in die Umwelt entlassen. Weitere 32 Prozent wurden unbeabsichtigt mit Handelswaren in neue Gebiete eingeschleppt. Bei 18 Prozent der Arten fehlen klare Informationen über den Einbringungsweg.

Gebietsfremde Arten Schweiz BAFU
Zeitliche Entwicklung der etablierten und invasiven gebietsfremden Arten in der Schweiz. (BAFU)

Nationale Strategie

Im Mai 2016 hat der Bundesrat die «Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten» verabschiedet. Das Hauptziel dieser Strategie ist es zu verhindern, dass Mensch und Umwelt durch gebietsfremde Arten gefährdet und die biologische Vielfalt, Ökosystemleistungen sowie deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigt werden. Die Ausbreitung von invasiven gebietsfremden Arten mit Schadenspotenzial soll eingedämmt und eine Neueinbringung verhindert werden. Die nationale Strategie soll es zukünftig erlauben, die betroffenen Akteure und die durchgeführten Aktivitäten zu invasiven gebietsfremden Arten auf nationaler Ebene zu koordinieren und aufeinander abzustimmen.

Gebietsfremde Tiere in der Landwirtschaft

Die Auswirkungen der eingeschleppten Arten auf die Tier- und Pflanzenwelt können vielfältig sein. Die meisten gebietsfremden Arten fügen sich unauffällig in die Ökosysteme ein und verursachen keine Schäden. Einige jedoch haben nachweislich negative Auswirkungen. Sie können einheimische Arten verdrängen, mit ihnen hybridisieren, ökologische Funktionen beeinträchtigen oder Krankheiten und Parasiten übertragen. Darüber hinaus können sie beim Menschen Gesundheitsprobleme durch toxische oder allergene Stoffe auslösen.

Auch wirtschaftliche Schäden sind möglich – so können Neobionten in der Land- und Forstwirtschaft zu erheblichen Problemen führen und beispielsweise grosse Ertragseinbussen verursachen. Nebst invasiven Pflanzenarten, die Anbauflächen übernehmen und Ernteerträge verringern, oder sogenannten Neomyzeten wie Pilzen und Bakterien, die Pflanzenkrankheiten verursachen, gibt es auch diverse eingeschleppte Schädlinge, welche die landwirtschaftlichen Kulturen angreifen und grosse Schäden verursachen können. Dies kann zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten für Landwirtinnen und Landwirte führen.

Mehr oder weniger erfolgreicher Kampf gegen den Asiatischen Laubholzbockkäfer

Das Beispiel des Asiatischen Laubholzbockkäfers zeigt, dass mit den richtigen Instrumenten wie der frühzeitigen Erkennung des Befalls und einer geeigneten Bekämpfungsstrategie die Etablierung bestimmter Arten verhindert werden kann. Grosse Befallsherde des Asiatischen Laubholzbockkäfers, ein gemäss der Verordnung über Pflanzenschutz besonders gefährliches Insekt, wurden unter anderem 2011 und 2014 im Kanton Freiburg nachgewiesen, konnten nach mehreren Jahren Bekämpfung aber erfolgreich ausgerottet werden. Die Larve dieses aus Asien stammenden Bockkäfers befällt gesunde Bäume diverser Laubbaumarten und kann ihnen schwere Schäden zufügen – bis hin zum Absterben der Bäume.

Im August 2022 wurde in der Gemeinde Zell im Kanton Luzern allerdings ein neuer Befallsherd entdeckt. Die lokalen und kantonalen Behörden führen derzeit Bekämpfungsmassnahmen durch, um den Käfer zu tilgen. Dabei werden sie von speziell ausgebildeten Baumkletterern, Spürhunden und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL unterstützt.

Asiatische Invasoren

So stellt unter anderem der Japankäfer eine Bedrohung für die Schweizer Landwirtschaft dar. In Europa ist der Japankäfer erstmals in den 1970er-Jahren auf den Azoren aufgetaucht. 2014 wurde er dann in Norditalien nachgewiesen und 2017 wurde der Käfer erstmals in der Schweiz im Kanton Tessin entdeckt. Seither breitet sich der Japankäfer im Südkanton aus – 2022 wurden im Kanton Tessin bereits 625’606 Exemplare in Massenfangfallen gefangen. Isolierte Funde gab es aber auch schon nördlich der Alpen: 2021 hat die Stadtgärtnerei in Basel den Fund eines Japankäfers verzeichnet. Der Japankäfer ist gefrässig und ernährt sich von über 300 verschiedenen Pflanzenarten: Er richtet sowohl als Engerling im Boden als auch als Käfer in vielen Kulturpflanzen massive Schäden an und befällt unter anderem Apfel- und Steinobstbäume, Brom- und Himbeersträucher, Mais oder auch Weinreben. In der Schweiz hat der Japankäfer keine natürlichen Feinde.

Die Asiatische Hornisse bereitet vor allem Imkerkreisen grosse Sorgen. Nachdem sie 2017 erstmals gesichtet wurde, hat die Anzahl der Funde im Jahr 2022 deutlich zugenommen. Dank günstiger Wetterbedingungen breitet sie sich nun in der Romandie und der Nordwestschweiz aus. Asiatische Hornissen jagen zur Ernährung ihrer Larven Insekten – insbesondere Wild- und Honigbienen. Gegen Ende des Sommers, wenn das Nahrungsangebot in der Natur knapper wird, greifen sie auch vermehrt Bienenvölker an. «Zum Schutz der einheimischen Insektenfauna und der Honigbienenvölker ist eine rasche Zerstörung möglichst vieler Nester der invasiven Art darum sehr wichtig», erklärt Fabian Trüb, Fachspezialist Bienengesundheit beim Schweizer Bienengesundheitsdienst BGD. Er ist überzeugt, dass die Schweizer Imkerinnen und Imker früher oder später Möglichkeiten finden werden, um ihre Bienenvölker vor der der Asiatischen Hornisse zu schützen. Ohne Verluste von Bienenvölkern und ohne Anpassungen der Betriebsweise der Imkerei wird das allerdings kaum gehen. Nicht weniger Sorgen macht er sich um die hiesigen Wildbienen: «Die Wildbienen stehen sowieso schon unter Druck und wenn es so weitergeht, könnten die hiesigen Wildbienen dereinst ganz verschwinden – das wäre verheerend», erklärt er.

Wenn der exotische Nützling zum Schädling wird

Der Asiatische Marienkäfer wurde in Europa absichtlich zur biologischen Bekämpfung von Blattläusen eingeführt: Seit 1982 wurde diese Art vor allem in Gewächshäusern freigelassen. Zuerst waren die ausgesetzten Käfer als effiziente Blattlausjäger geschätzt, später zeigte sich, dass aus Gewächshäusern ins Freiland entwichene Asiatische Marienkäfer auch einheimische Marienkäfer fressen. In der Schweiz war der Asiatische Marienkäfer nie für den biologischen Pflanzenschutz zugelassen, wurde aber dennoch im Jahr 2004 ein erstes Mal in der Schweiz nachgewiesen. Seither hat er sich enorm vermehrt und ausgebreitet.

Die Art ist sehr konkurrenzstark und polyphag und hat durch Konkurrenz und Prädation schädliche Auswirkungen auf einige einheimische Marienkäfer. In der Schweiz ist der Asiatische Marienkäfer für den Rückgang mindestens einer Art, nämlich des Zweipunkt-Marienkäfers, verantwortlich.

Bei dieser Art kommt die Ergreifung von Massnahmen wahrscheinlich zu spät, um ihre Ausbreitung noch nachhaltig zu verhindern.

Nützliche Neozoen

Nicht alle eingeschleppten Organismen sind für die Landwirtschaft schädlich. Einige eingeführte Tierarten können sich als effektive Schädlingsbekämpfer erweisen und dazu beitragen, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Ironischerweise werden die Nützlinge unter den Neozoen aber oft zur Bekämpfung von anderen gebietsfremden Arten eingesetzt. So untersucht Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für die Forschung in der Land- und Ernährungswirtschaft, unter anderem die Eignung des exotischen Parasitoiden Ganaspis brasiliensis für die klassische biologische Bekämpfung der Fruchtfliege Drosophila suzukii.

Auch um der Marmorierte Baumwanze entgegenzuwirken, wird der Einsatz mit einer eigentlich ebenfalss gebietsfremden Art erwogen: 2020 startete Agroscope einen Freisetzungsversuch mit der Samuraiwespe. Die Marmorierte Baumwanze, auch als Stinkwanze bekannt, ist ein schädlicher Insektenschädling im Obst- und Gemüsebau. Sie stammt ursprünglich aus Asien und wurde 2004 erstmals in der Schweiz entdeckt. Seitdem hat sie sich zu einem ernsthaften Schädling in der Landwirtschaft entwickelt. Agroscope überwacht ihre Verbreitung und untersucht verschiedene Strategien, um die Schäden zu reduzieren. Die Bekämpfung mit der Samuraiwespe ist eine mögliche Lösung. Die Samuraiwespe, ein natürlicher Feind der Baumwanze, parasitiert die Eier der Baumwanze und kann dadurch deren Population kontrollieren. Die Schlupfwespe legt ihre Eier in die Eigelege der Baumwanze und begrenzt dadurch ihre Vermehrung. Ähnliche Methoden werden bereits erfolgreich gegen andere Schädlinge eingesetzt.

Samuraiwespe Tim Haye CABI
Die Samuraiwespe parasitiert die Eier der Marmorierten Baumwanze. (Tim Haye/CABI)

Sichtung der ersten Samuraiwespe im Kanton Bern

Die natürliche Gegenspielerin der Marmorierten Baumwanze wurde im September 2021 erstmals im Kanton Bern gesichtet. Im Interview erläutert Hanna Waldmann vom Bildungs- und Beratungszentrum Inforama Oeschberg, wie sich die Situation seither entwickelt hat.

LID: Wie gestaltet sich die Situation im Kanton Bern in Bezug auf die Marmorierte Baumwanze? Lassen sich die Schäden beziffern?
Hanna Waldmann: Im Kanton Bern sind mehrere Pheromon-Fallen installiert, um die Marmorierte Baumwanze zu überwachen. Seit dem Frühling 2022 beobachten wir einen Rückgang der Wanzenpopulation. Es könnte sein, dass sich die zu überwinternde Generation nach dem kühlen Sommer 2021 nicht vollständig entwickeln konnte und dadurch die Population reduziert wurde.
Die Schäden lassen sich nicht beziffern. Sie werden nicht speziell ausgezählt, da sie von Betrieb zu Betrieb und je nach Standort unterschiedlich sind. Wir haben aber Kenntnis von Betrieben, die in Jahren mit hohem Druck der Marmorierten Baumwanze bis zu 30 Prozent Ernteeinbussen hatten.

LID: Welchen Schutz gibt es? Wie lässt sich die Baumwanze in Schach halten? Was haben Obstbauern für Möglichkeiten?
Hanna Waldmann: In diesem Jahr wurde per Notfallzulassung Pflanzenschutzmittel zugelassen, um die Wanzen in Obstanlagen zu bekämpfen. Vermutlich wird aber langfristig gesehen nur das Zusammenspiel verschiedener Massnahmen wie dem Einnetzen der Obstanlagen, dem Einsatz von natürlichen Gegenspieler wie beispielsweise der Samuraiwespe oder der gezielte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln den Schädling unter Kontrolle bringen.

LID: Die Samuraiwespe ist eine natürliche Gegenspielerin der Marmorierten Baumwanze und wurde 2021 erstmals im Kanton Bern gesichtet – wie hat sich die Situation hier seither entwickelt?
Hanna Waldmann: Die Samuraiwespe wurde seither an verschiedenen Orten im Kanton gesichtet. Wie bereits erwähnt, wird die Samuraiwespe die Marmorierten Wanzen aber wohl kaum alleine in Schach halten können.

LID: Birgt eine Freilassung der Samuraiwespe auch Gefahren?
Hanna Waldmann: Eine Freilassung der Samuraiwespe ist in der Schweiz aktuell nur für Versuchszwecke und nur in einigen wenigen Kantonen gestattet. Da die Samuraiwespe in der Schweiz nicht einheimisch ist, kann sie auch Gefahren bringen. Es ist beispielsweise noch unbekannt, ob sie allenfalls eine Gefahr für die einheimische Insektenpopulation hat: Ob sie beispielsweise die Eier einheimischer Insekten parasitiert und diese Arten auf diese Weise reduziert.

Druck wird sich noch erhöhen

Insgesamt ist das Thema der Neozoen in der Schweizer Landwirtschaft komplex und erfordert eine ausgewogene Herangehensweise. Während einige Arten Herausforderungen mit sich bringen können, bieten andere potenzielle Vorteile. Eine umfassende Überwachung, Regulierung und Bildung sind wesentlich, um die Auswirkungen von Neozoen auf die Schweizer Landwirtschaft zu bewältigen und gleichzeitig einen nachhaltigen und effizienten landwirtschaftlichen Sektor zu gewährleisten.

Grundsätzlich ist zu erwarten, dass auch in Zukunft neue invasive gebietsfremde Arten in die Schweiz gelangen und sich in der Umwelt etablieren. Modellberechnungen für Europa gehen bis zum Jahr 2050 von weiteren 2500 gebietsfremden Arten aus. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, Massnahmen zu ergreifen, um die Einbringung und Ausbreitung invasiver Arten zu kontrollieren und ihre Auswirkungen auf die Umwelt, die biologische Vielfalt und die nachhaltige Nutzung der Ökosysteme einzudämmen. Nur so kann die Funktionalität unserer natürlichen Lebensräume bewahrt werden.