Prüfung für Herdenschutzhunde: Aufgespannte Regenschirme und platzende Ballone
Zweimal im Jahr finden in vier Gebieten der Schweiz Prüfungen von Herdenschutzhunden statt. Wir waren bei einer Prüfu...
Die morgendliche Reise ins Appenzellerland ist an sich schon ein Abenteuer. Als mich die zwei Appenzeller Sennenhündinnen Xindi und Belina von weitem zuerst vorsichtig, dann warm empfangen, ist mein Tag damit schon gerettet. Es geht zum Brogershaus in Appenzell Schlatt. Da hausen in einer idyllisch gelegenen Region Monika und Stefan Fritsche, sowie die Hündinnen Xindi und Belina mit acht Welpen.
Monika ist begeisterte Züchterin der Appenzeller Sennenhunde, aufgrund der weissen Blässe, die sich vom Oberkopf über den Nasenrücken zieht, auch Bläss genannt. Sie führt damit die 50-jährige Tradition des Brogershauses weiter. Im Bündnerland aufgewachsen hatte sie früher nie mit dem Sennenhund aus dem Appenzell zu tun gehabt. Anders als Stefan, ihr Mann, der den Hund schon während seiner Kindheit stets an seiner Seite gehabt hatte. Er war es auch, der den Hof von seinem Vater übernahm. Heute findet man ihn eher bei den Kühen im Stall oder auf den Weiden inmitten der appenzellischen Postkarten-Landschaft.
Treue Vierbeiner
Xindi ist mit ihren achteinhalb Jahren die ältere der zwei Hündinnen. Im Herbst 2013 hat sie die Ankörung, die Zulassungsprüfung für die Zucht, bestanden. Nach zwei Würfen verhinderte eine Krankheit die weitere Tätigkeit als Zuchthund. Heute bleibt sie als treue Begleiterin beim Brogershaus und macht auch ab und zu bei der Familienhunde-Gruppe mit.
Belina ist dreieinhalb Jahre alt und hat ihre Ankörung im Frühling 2019 bestanden. Auch sie besucht wöchentlich mit grossem Engagement die Familienhunde-Gruppe. Belina, im Stammbaum als Fiora vom Schlosscappi aufgeführt, ist sehr aufmerksam und freundlich.
Die beiden Hündinnen spielen gerne, sei es miteinander oder mit Menschen. Es ist auch nicht einfach für mich, dem Spieltrieb von Belina zu widerstehen: Auffällig legt sie mir einen unförmigen Plastikdeckel auf meinen Schoss, schaut mich erwartungsvoll an. Ich tu so als hätte ich das nicht bemerkt, sodass ich mich weiter auf Monikas Worte konzentrieren kann. Also legen sich Belina und Xindi brav unter dem Tisch hin und bleiben für die restliche Zeit sehr ruhig.
Ursprünglich wurden Sennenhunde-Rassen auf Wetterbeständigkeit, Genügsamkeit und Ausdauer gezüchtet. Die Namen lassen auf die Sennen und Älpler zurückführen, die diese Hunde als Begleiter, Wächter und Treiber für ihr Nutzvieh einsetzten. Daher gab man ihnen auch den Übernamen «Küherhunde». Ihre Züchtung war aber nicht reinrassig. Erst ab dem späten 19. Jahrhundert förderte man die reinrassige Züchtung der Sennenhunde. Heute haben sich vier Schweizer Sennenhunde-Rassen etabliert: der Grosse Schweizer Sennenhund, der Berner Sennenhund, der Entlebucher Sennenhund und der Appenzeller Sennenhund. Dabei gilt der FCI-Standard (Fédération Cynologique Internationale). Dieser legt fest, welche Merkmale die Reinrassigkeit sichern und welche zur Disqualifizierung führen.
Heute sind die Funktionen der Appenzeller Sennenhunde zwar immer noch dieselben, gleichzeitig trifft man sie auch einfach als Familienhunde an. Dabei gilt immer noch zu beachten, dass viel Bewegung und kognitive Herausforderung dieser Sennenhunde unumgänglich ist. «Sie brauchen einfach Kopfarbeit. Zum Beispiel kann das Futter versteckt werden, oder man spielt Spiele, mit denen sie etwas Neues lernen können. Nur so kann man sie müde machen», sagt Monika entschlossen. Grundsätzlich lernen diese Hunde auch überdurchschnittlich schnell. Man merke schon, dass es wache Hunde sind, mit ihrem aufrecht gehaltenen Kopf und den aufgestellten Ohren.
Der Appenzeller Sennenhund ist verglichen mit dem Grossen Schweizer und dem Berner Sennenhund eher klein. Daher wird er gerne als Treibhund eingesetzt, da er so flink ist. Er kann ganze Kuhherden zusammenhalten. «Diese Eigenschaften sind zwar in der Rasse verankert. Trotzdem muss ein Hund lernen, weshalb und für wen er die Kühe zusammentreibt. Sonst sieht er es einfach als ein Spiel an», meint Monika.
Auf die Frage, weshalb es die Hunde mit Zucht reinrassig zu erhalten gilt, erklärt Monika: «Der gute Charakter würde sich sonst verwässern. Aussehen spielt ebenfalls eine Rolle, weil es den typischen Charakter unterstreicht. Und diese einmalige Art des Appenzeller Sennenhundes gilt es zu erhalten, denn schliesslich repräsentiert er auch die beiden Appenzeller Halbkantone.»
Einige Bäuerinnen und Bauern würden ihn noch mit der ursprünglichen Funktion als Bauernhof-Hund oder Treibhund einsetzen. Würde er sich mit anderen Rassen vermischen, ginge auch ein Stück Ostschweizer Kultur verloren. Denn einmal vermischt, gibt es kein Zurück mehr.
Der Schweizerische Club für Appenzeller Sennenhunde SCAS fördert die Reinzucht des Appenzeller Sennenhunds. 1906 wurde der Club mit grossem Engagement von Prof. Dr. Albert Heim, einem bekannten Geologen und Kynologen, gegründet. Ebendieser war es auch, der 1914 die noch heute gültigen Rassekennzeichen definiert hat. Dazu gehören bestimmte Werte und Erscheinungsformen des Kopfs und Körpers, der Gliedmassen, des Gangwerks und Haarkleids. Disqualifizierende Eigenschaften sind zum Beispiel Aggressivität oder übermässige Ängstlichkeit. Kommen solche Eigenschaften vor, redet man nicht mehr von Reinrassigkeit und das jeweilige Individuum ist nicht für die Weiterzucht geeignet.
Damals galt das Appenzellerland als Zuchtgebiet – heute finden sich Züchterinnen und Züchter schweizweit und auch international. «Die Zuchtbasis ist trotzdem seit vielen Jahren klein. Zudem sind die meisten Züchterinnen und Züchter in meinem Alter, und so frage ich mich schon, wie es dann später aussehen wird. Werden jüngere Generationen die Weiterzucht übernehmen?», fragt sich Monika.
Ihre Kinder wohnen momentan nicht mehr zuhause auf dem Hof. Trotzdem kann sich Monika gut vorstellen, dass zumindest jemand von ihnen später weiter züchten wird. Alle Kinder hatten stets Freude an den Hunden – sie waren es schliesslich auch, die Monika damals überzeugten, nach einigen Jahren Zucht-Unterbruch wieder einen Hund aufzunehmen.
In gewissen Kreisen werde dem Appenzeller Sennenhund auch der Ruf vom Wadenbeisser und Kläffer vorgeworfen. «Man muss ihn erziehen. Erst mit guter und konsequenter Erziehung bringt man seine brillanten Eigenschaften zum Vorschein», so die langjährige Züchterin. Die Vorwürfe seien also ungerechtfertigt und entsprächen nicht der Wahrheit.
Meistens finden sich sehr schnell Käuferinnen und Käufer von Welpen. «Das war nicht immer so. Früher, als der Club noch keine Webseite hatte, vergingen sogar bis zu zehn Wochen, bis für alle Welpen neue Besitzer gefunden wurden», sagt Monika. Heutzutage seien es Leute, die durch den Club über den Welpenwurf erfahren oder «einfach gegoogelt» haben.
Auf die Frage, wie gut die interessierte potentielle Käuferschaft den Appenzeller Sennenhund kennt, entgegnet Monika: «Es ist erfreulich, dass die meisten sehr gut Bescheid wissen. Man findet viele wichtige Informationen über das Internet». Nichtsdestotrotz kam es auch schon vor, dass sie interessierten Personen den Kauf verwehren musste, weil deren Platz sich zum Beispiel aufgrund der Wohnlage in höheren Stockwerken nicht als geeignet erwies. Welpen sind zu Anfang noch nicht stubenrein, und deshalb sollten Hundebesitzerinnen und -besitzer gut nach draussen können.
«Vielfach ist es schlussendlich der gleiche Typ Mensch, der den Kauf vollzieht: ein aktiver, sportlicher Bergwanderer, der Begleitung sucht», stellt Monika fest. Als Treibhunde würden die Hunde bei Bäuerinnen und Bauern aber immer noch eingesetzt.
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