Ballenberg: Ein Rundweg voller Erlebnisse
Sommerserie - Teil 7 (Schluss). Historische Gebäude, wunderbare Landschaft und zahlreiche Erlebnisse an einem Ort: Ei...
Was der Röstigraben für die Romandie und die Deutschschweiz ist, ist der Monte Ceneri für die Tessinerinnen und Tessiner. Er teilt den Kanton in Sopra- und Sottoceneri – und das nicht nur geografisch. So mache ich mich als «Sopracenerina» von Tenero aus auf den Weg ins Sottoceneri in den Alto Malcantone, um mehr über unsere geliebte «Castégna», wie sie im Tessiner Dialekt genannt wird, zu erfahren.
Kaum aus dem Postauto in Arosio ausgestiegen, schaue ich auf einen herrschaftlichen Palazzo und mache mich ich auf zur Kirche San Michele. Dort begegne ich dem Kastanienbaum in Form der Haupteingangstür zum ersten und im Wappen der Gemeinde Alto Malcantone als Kastanienblatt gleich zum zweiten Mal. Einmal rund um die Kirche zu gehen, lohnt sich, denn auf der Rückseite der Kirche befindet sich eine Sonnenuhr von 1664.
Da ich auf 30 Grad und nicht auf Regen eingestellt war, bin ich kurz unter einem Dach untergestanden, als ein kurzer Platzregen die Luft etwas erfrischte. Darüber sehr glücklich habe ich den Rundgang unter die Füsse genommen. Vom «Sentiero del Castagno» abzukommen ist fast unmöglich: Er ist mit gelben Wegweisern mit einer aufgedruckten Kastanie sehr gut gekennzeichnet. Kurz nach Arosio war ich allein in den Kastanien- und Birkenwäldern unterwegs. Es ging immer wieder rauf und runter mit wunderschönem Blick auf die Dörfer Arosio, Breno, Fescoggia, Mugena und Vezio, den Monte Tamaro und die hügelige Landschaft.
Die erste Thementafel macht auf die natürlichen Feinde der Kastanienhaine aufmerksam. Nebst dem Kastanienkrebs, der Tintenkrankheit, der Esskastanien-Gallwespe, dem Esskastanienbohrer und dem Kastanienwickler ist das Feuer die grösste Gefahr für den Kastanienwald. So hat die Gemeinde Alto Malcantone ein Löschbecken eingerichtet, das die Löscharbeiten bei einem allfälligen Brand vereinfachen.
Dieses Jahr geht es in unserer Sommerserie darum, die Landwirtschaft zu Fuss oder per Velo vor Ort zu erleben. In unseren Beiträgen nehmen wir die Leserinnen und Leser mit auf Touren durch Bauernhöfe, Obstgärten, Gemüsefelder oder Reblandschaften. So können sie lernen, staunen, geniessen und natürlich nachwandern. Wir haben alle Artikel im Dossier zusammengefasst.
Von den Römern vor über 2’000 Jahren von der Türkei in die Schweiz gebracht, garantierte die Kastanie über Jahrhunderte das Überleben der Tessiner und Südbündner Bevölkerung. Vom Kastanienbaum wurde aus der Not heraus, ähnlich wie bei «modernen» Konzepten wie «Nose to Tail» oder «Leaf to Root», alles verwendet, verarbeitet und gegessen, was die Pflanze hergab. Die Kastanien wurden getrocknet und zu Mehl verarbeitet, damit es gut gelagert und das ganze Jahr hindurch gegessen werden konnte. Das Holz wurde zum Heizen, Kochen und für Möbel verwendet, die Blätter dienten als Streu für die Tiere und wie in meiner Familie erzählt wird, auch für Menschen als Inhalt von Kissen und Betten. So wurden die Blätter gesammelt, lagen nicht im Wald herum und alimentierten nicht allfällige Feuer. Ein «sauberer» Wald ohne trockene Blätter war und ist eine Versicherung und Prophylaxe gegen Waldbrände.
Holzkohle wurde jahrhundertelang aus Kastanienholz gewonnen und nach Mailand verkauft. Die im Kastanienholz enthaltene Gerbsäure war bis zu den 1950er-Jahre eine wichtige Einnahmequelle. Die intensive Nutzung sowie das Aufkommen von billigeren Methoden zur Gewinnung von Gerbsäure und der Kastanienrindkrebs trugen zum Zerfall der Kastanienkultur bei. In der Nachkriegszeit verbreitete sich zudem der Reis und löste die Kastanie als Hauptnahrungsmittel ab. In der Folge wurden die Kastanienselven vernachlässigt und sich selbst überlassen. Die Kastanien und die Blätter wurden nicht mehr gesammelt und blieben auf dem Boden liegen.
In den 1990er-Jahren spannten in diversen Tessiner und Bündner Regionen Organisationen und engagierte Personen zusammen, um die Kastanienselven zu pflegen, den Unterwald von Holzresten zu befreien, um so wieder mehr Platz für Weiden zu haben. Im Gegensatz zu einem geschlossenen Wald bietet eine offene und gepflegte Selve vielen Tieren und Pflanzen Nischen und Lebensräume. Mit diesem Revival der Kastanie wurde auch die Tradition des Kastanientrocknens wieder aufgenommen. So sammeln Einheimische und Schulklassen im Herbst Kastanien – rund 40 Tonnen jährlich – und bringen sie zum Trocknen in eine Grà.
Um die Kastanien länger haltbar zu machen, werden die Kastanien zuerst neun Tage gewässert. Dadurch schwimmen die faulen und mit Würmen befallenen, leichteren Kastanien oben auf und allfällige Bakterien und Schimmel werden zerstört. Anschliessend werden die ganzen Kastanien in einem zweistöckigen Steinhaus – der Grà – getrocknet. Die Kastanien werden im zweiten Stock auf ein Gitter verteilt und im unteren Stock brennt das Feuer. Wenn nach zirka drei Wochen die Kastanien trocken sind, werden sie in Stoffbeutel gegen Stein geschlagen, sodass sich die Schale von der trockenen Frucht trennt.
Die Kastanien werden heute getrocknet und als Mehl, im Joghurt, als Vermicelles oder zu Kuchen oder Glacé verarbeitet im Tessin erfolgreich vermarktet. Ein Nebenprodukt der Kastanienblüten ist der leicht bittere, bernsteinfarbige Kastanienhonig, den ich als Heimwehtessinerin, allen anderen bevorzuge.
Die Grà auf dem Kastanienweg brannte 2023 nieder und wird wieder aufgebaut. Gerne würde ich sie im Herbst im Einsatz sehen und einer kürzeren Variante des Kastanienwegs folgen. Denn die letzten drei Kilometer von Vezio bis nach Arosio waren alle auf Asphalt und diese schenke ich mir nächstes Mal gerne. Wer es noch kürzer mag, empfehle ich eine Rundwanderung von Vezio nach Vezio: die Wanderung ist sehr abwechslungsreich mit Stücken im Wald und auf Wiesen, mit Blick auf die Dörfer Arosio, Fescoggia, Mugena und Vezio. Auch begegnet man den meisten Thementafel, der Grà und dem aufgeschichteten Köhlerhaufen. Wer nicht bis ins Sottoceneri reisen möchte, kann in Moghegno die Grà besichtigen und in den Kastanienwäldern des Sopraceneri wandern. Dort stehen die Bäume jedoch dichter beisammen und sind weniger alt und ehrwürdig als auf dem «Sentiero del Castagno». So war es die Mühe wert an einem heissen Sommertag zu früher Stunde den Monte Ceneri zu überwinden, um durch die kühlen Kastanienselven zu wandern.
Der «Sentiero del Castagno» lohnt sich
Informationen zur Wanderung und zum «Sentiero del Castagno» gibt es auf der Website des Tessiner Tourismusverbands.
Die Kastanie ist im Tessin ein Symbol für Reichtum und hat die Bevölkerung über Jahrhunderte hinweg ernährt. Wer mehr über den Brotbaum und die Tessiner Kastanien erfahren möchte, tut dies am besten auf einem der fünf Wanderwege, auf denen die Kastanie Königin ist.
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18. Februar 2025, 9-12 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE
18. Februar, 13.30 bis 16.30 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE.
8. Mai, 13.30 bis 16.30 Uhr, Zelgli-Träff, Biezwil SO.
4. Februar 2025, 9 bis 12 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE
4. Februar, 13.30 bis 16.30 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE
8. Mai, 9 bis 12 Uhr, Zelgli-Träff, Biezwil SO