Wald-Wild-Problem: Baumarten der Zukunft unter Druck
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David Gerke ist nicht nur Geschäftsführer von Wolf Schweiz, sondern auch Landwirt und Schäfer. Um den Wolf zu verstehen, müsse man drei Dinge wissen, betont er: Der Wolf ist ein Carnivore, er lebt von Tieren, die er meist selbst erbeutet. Er ist eine hochsoziale Tierart. Das Leben des Wolfes spielt sich typischerweise im Sozialverband ab, auch wenn es immer wieder solitär lebende Wölfe gibt.
«Wer den Wolf akzeptiert, muss daher zwingend auch Rudel akzeptieren», folgert der Wolfkenner. Und das dritte: Der Wolf ist ein sehr anpassungsfähiger Kulturfolger. Er kommt überall dort vor, wo es Nahrung für ihn gibt. Das Angebot auch an Wildtieren ist in einer Kulturlandschaft oft grösser als in der Wildnis. Wölfe, die sich wiederholt dem Menschen annähern, seien aber immer das Resultat einer positiven Konditionierung, zum Beispiel durch Fütterung.
In der Schweiz leben laut Bundesamt für Umwelt mindestens 26 Wolfsrudel mit etwa 250 Wölfen. Dies vor allem in Graubünden, im Tessin und Wallis. Nachdem der Wolf vor etwa 150 Jahren in der Schweiz ausgerottet worden sei, kehrte er seit 1994 auf natürlichem Weg zurück in die Schweiz und zwar aus Italien und den französisch-italienischen Alpen, führt Gerke aus. Der durchschnittliche jährliche Zuwachs der Population liege bei 30 %.
Bei einer durchschnittlichen Territoriums-Grösse von 200 km2 pro Wolfsrudel biete die Schweiz ein Lebensraumpotential für ca. 70 Rudel, wie auf Grund von Habitat-Modellen berechnet wurde. Das sei zwar reine Theorie, andererseits sei die Anpassungsfähigkeit des Wolfes schon oft unterschätzt worden, gibt der Wolfkenner zu bedenken.
Der Wolf ist heute in der Schweiz eine bundesrechtlich geschützte Art. Eingriffe in den Bestand sind nur in besonderen Fällen möglich. Mit der erneuten Revision des Jagdgesetzes sollen neu auch Präventivabschüsse ermöglicht werden, um Schäden an Nutztieren zu verhindern oder zur Erhaltung regional angemessener Wildbestände. Da der Wolf auch in den Nachbarländern der Schweiz in der Berner Konvention (s. Kästchen) geschützt ist, werde der Einwanderungsdruck in die Schweiz aufrechterhalten und es sei absehbar, dass der Wolfsbestand in der Schweiz noch steigen werde.
Der Bund stellt für die Alpsaison 2023 erneute zusätzliche finanzielle Mittel für Herdenschutzmassnahmen zur Verfügung, wie das Bundesamt für Umwelt am 6. April mitteilte. Nutztierhalter und Alpbewirtschafterinnen haben die Möglichkeit, bei den Kantonen um Finanzierung von Sofortmassnahmen zu ersuchen. Der Bund vergütetet den Kantonen bis zu 80% der Kosten. Hintergrund ist die weiter steigende Zahl von Wölfen. Zum Schutz der traditionellen Alpwirtschaft hat der Bund zusätzliche Mittel von 4 Millionen Franken gesprochen.
Zwar haben sich die europäischen Länder in der Berner Konvention dazu verpflichtet, den Wolf zu schützen, aber in der Art und Weise, wie sie das machen, unterscheiden sie sich.
«In Frankreich werden viele Wölfe geschossen», sagt Jean-Marc Landry. Er ist Berater für Herdenschutz sowohl in Frankreich als auch in der welschen Schweiz. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Frankreich war der Wolf ausgerottet. Heute gibt es in Frankreich wieder etwa 900 Wölfe und 135 Rudel. Während in der Schweiz nur kantonale Wildhüter den Wolf schiessen dürfen, ist es in Frankreich auch den Tierhaltern erlaubt, wenn sich der Wolf der Herde nähert und der Tierhalter einen Jagdschein besitzt. Es gibt keine Regeln für einen präventiven Abschuss. Der Präfekt des Departements entscheide darüber. Ein Abschuss sei selbst während der Aufzucht der Jungen möglich.
Auch in Italien ist der Wolf geschützt, der Wolfsbestand in den Alpen und Voralpen hat sich stark vergrössert, heute leben in Italien 600 bis 800 Wölfe. Marco Apollonio, Professor an der Universität Sassari, und sein Team versuchen, die Wölfe durch nicht letale Vergrämungsmethoden von den Schafen abzuhalten, also ohne die Angreifer zu töten. Dazu haben sie zehn Wölfe mit GPS-Sendern an Halsbändern versehen und erstellten via Satelliten virtuelle Zäune. Betritt ein Wolf ein zu schützendes Gebiet, erhält der Hirte ein Alarm auf sein Handy und ist somit in Alarmbereitschaft.
Eine andere Möglichkeit ist das Auslösen von grellem Licht und lautem Lärm, sobald sich der Wolf der Schafherde nähert und von Näherungssensoren erkannt wird. Die Wölfe liessen sich damit abschrecken, streiften mehr in den Wäldern umher und rissen mehr Wildtiere anstatt Schafe. Mit der Zeit gewöhnten sie sich aber an den Menschen und die Abschreckung. Mit Gummigeschossen mussten die Forscher die Vergrämung verstärken. Und natürlich ist es in der Praxis kaum möglich, alle Wölfe mit Ortungssendern zu versehen.
«Das effektivste Mittel, sich vor dem Wolf zu schützen, ist der Herdenschutzhund», sagt Moritz Pfister. Er züchtet und bildet selbst Herdenschutzhunde aus und engagiert sich als Mandatsträger bei der Fachstelle für Herdenschutzhunde AGRIDEA. Herdenschutzhunde leben mit den Schafen, verteidigen sie vor dem Wolf und arbeiten selbständig. Das verlangt eine entsprechende Zucht, Aufzucht und Ausbildung.
«Das Abwehrverhalten und die Herdentreue lassen sich nicht anerziehen», präzisiert Pfister. Darauf muss er bei der Zucht achten. Die Hunde müssen schon als Welpen mit den Schafen aufwachsen und eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Sind die Hunde bei der Herde, bewachen sie diese auch vor dem Menschen. «Wir müssen lernen, mit dem Herdenschutzhund umzugehen», erklärt Pfister.
Wanderer müssen die Schafherde umgehen und nicht meinen, sie haben Vorrecht. Und nicht zuletzt hat auch der Herdenschutzhund seine arteigenen Bedürfnisse. «Er braucht einen Artgenossen als Sozialpartner sowohl tags als auch nachts», betont der Hundekenner. Im Sommer sind die Hunde draussen bei der Herde, im Winter brauchen sie im Stall Platz und müssen ins Freie können.
Die Anzahl der vom Wolf gerissenen Nutztiere ist in der Schweiz in den vergangenen Jahren auf über 1000 Tiere im Jahre 2022 gestiegen. Samuel Furrer vom STS weist darauf hin, dass pro Wolf allerdings ständig weniger Nutztiere gerissen werden, wie eine Auswertung der Gruppe Wolf Schweiz zeigt. Grund dafür seien die vermehrt umgesetzten, wirksamen Herdenschutzmassnahmen. Dem Abschuss von Schaden stiftenden Wölfen steht der STS kritisch gegenüber. Eine solche Massnahme sei stets ultima ratio, führt Furrer aus, und nur dann akzeptierbar, wenn vorgängig fachgerecht durchgeführte Massnahmen zum Herdenschutz zu wenig Wirkung erzielten. Wichtig sei eine vermehrte Förderung des Herdenschutzes durch Bund und Kantone. Guter Herdenschutz schütze sowohl die Nutztiere als auch den Wolf. Weiden, die nicht mit zumutbarem Aufwand geschützt werden können, solle man nicht mehr bestossen oder mit Tierarten, die sich gegen den Wolf wehren können. Ob sich die Problematik des «Zusammenlebens» von Nutztieren und Wölfen allein durch Herdenschutzmassnahmen lösen lässt, darauf gab die Tagung keine Antwort.
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