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Vom Luxushotel zur Bisonzucht
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Die Mutter-Kalb-Haltung, kurz MUKA, ist die natürlichste Form der Kälberaufzucht in der Milchproduktion. Alle weiblichen und männlichen Kälber bleiben bis zum Absetzen, also ihre ersten drei bis zehn Lebensmonate, bei ihren Müttern und trinken die Milch direkt vom Euter. Dies erlaubt, dass die Kuh ihr Jungtier ihrer Natur entsprechend aufziehen kann. Im Unterschied zur Mutterkuhhaltung in der Fleischproduktion werden die Kühe weiterhin gemolken und die Milch verkauft oder weiterverarbeitet.
In der Schweiz ist die muttergebundene Kälberaufzucht in der Milchproduktion allerdings noch wenig bekannt und wird nur von aktuell 23 Höfen praktiziert. In über 99 Prozent der Fälle wachsen die Kälber ohne Kontakt zu ihren Müttern einzeln in Kälberiglus oder teilweise in Kälbergruppen heran.
«Bei der MUKA-Haltung gibt es viele Vor- aber auch Nachteile, alles andere wäre gelogen», sagt Cornelia Buchli. Die Tierärztin war früher in einer Praxis für Klein- und Nutztiere tätig, wo sie oft bei Milchkühen Geburtshilfe leistete. Für sie fühlte es sich nicht gut an, Kälber und Mütter sofort voneinander zu trennen. Schliesslich erfuhr die junge Veterinärmedizinerin von der muttergebundenen Kälberaufzucht und verfasste ihre Dissertation zu diesem Thema. Heute leitet sie die Fachstelle MuKa, die Landwirtinnen und Landwirte bei der Umstellung auf diese tierfreundliche Haltungsform unterstützt und Wissen darüber vermittelt.
Möglich wurde die MUKA-Haltung gesetzlich erst im Jahr 2020. Vorher besagte eine Verordnung, dass jeweils das gesamte Gemelk abgegeben werden muss. Durch eine Motion, welche dank der Initiative des Vereins Cowpassion und dem Schweizer Tierschutz zustande kam, wurde die Definition von tierischer Milch angepasst, was es ermöglichte, Kälber saugen zu lassen und dennoch Milch in den Lebensmittelkanal abzugeben. Hygienische Bedenken sind unbegründet: «Untersuchungen haben ergeben, dass MUKA-Milch einwandfrei ist und die Zellzahlen vergleichbar sind bei säugenden und nicht-säugenden Kühen», sagt Cornelia Buchli.
Mit der Beseitigung der gesetzlichen Hürde war ein grosser Schritt getan, alle Herausforderungen sind damit aber noch nicht gemeistert. Die finanziellen Einbussen seien sicher ein Knackpunkt, sagt Cornelia Buchli. Denn dadurch, dass die Kälber bei der Mutter trinken, muss auf 20 bis sogar 50 Prozent der Milchmenge verzichtet werden. Bei der Umstellung auf diese Haltungsform sind zudem stallbauliche Anpassungen erforderlich. So benötigen die Mütter und ihre Jungtiere genügend Platz und die Tränken müssen beispielsweise für die Grossen und die Kleinen zugänglich sein. «In jedem Stall sind individuelle Umbauten notwendig, ein Patentrezept gibt es nicht», sagt Cornelia Buchli, deren Fachstelle kostenlose Beratungen anbietet. Zudem müsse beachtet werden, dass alle Kälber auf dem Betrieb bleiben, was vielleicht verlangt, dass der Kuhbestand reduziert wird. «Die Umstellung passiert nicht von heute auf morgen, setzt Investitionen voraus und verlangt einiges an Flexibilität und Motivation», sagt die Fachfrau weiter.
Der Lohn dafür ist umso erfreulicher: Die Kälber werden von ihren Müttern gepflegt, sie dürfen viel von ihnen lernen und ihren Saugreflex befriedigen. «Diese Haltung geht in punkto Tierwohl einen riesigen Schritt voran und wirkt sich positiv auf die emotionale und physische Gesundheit aus», sagt Cornelia Buchli. Durch die stabile Umgebung sind die Jungtiere nämlich kaum Stressoren ausgesetzt, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken und das Immunsystem schwächen.
Auf die Bedürfnisse der Kühe und Kälber eingehen zu können, wirkt sich auch auf das Wohlbefinden der Landwirtinnen und Landwirte positiv aus. «Eine Studie hat aufgezeigt, dass die Zufriedenheit von MUKA-Landwirten trotz der ökonomischen Herausforderungen gesteigert ist», so Cornelia Buchli. MUKA-Haltung macht also Tiere und Menschen glücklich.
Diese Aussagen betreffend Tiergesundheit und Zufriedenheit der Landwirtinnen und Landwirte kann Ariane Gerber Popp unterschreiben. Die Ärztin, die sich auf dem zweiten Bildungsweg vor einigen Jahren zur Meisterlandwirtin ausbildete, lässt auf ihrem Biohof Schönebühli im bernischen Oberburg nicht nur Jersey-Kälber, sondern auch Pfauenziegen-Gitzi gemeinsam mit ihren Müttern aufwachsen. Seit 2019 hält Ariane Gerber Popp auf rund sechseinhalb Hektaren 22 erwachsene Ziegen, sechs Jersey-Kühe und zwei Esel. Auf die Pfauenziegen wurde sie auf einem Hof in Rubigen aufmerksam, an dem sie immer vorbeifuhr und in die Jersey-Kühe verliebte sie sich auf ihrem Ausbildungsbetrieb, in dessen Holsteinherde einige der kleinen Kühe mit den Kulleraugen mitliefen. «Jersey sind hübsch, nicht so gross und umgänglich – Pfauenzeigen sind robust, geben gute Milch und haben auch etwas Fleisch am Knochen», begründet Ariane Gerber Popp ihre Wahl.
Die muttergebundene Haltung habe sich bei ihr so ergeben, sei aber auch ein bewusster Entscheid gewesen und sie könnte sich nichts anderes vorstellen. Für sie bedeute es weniger Aufwand, die Jungtiere mit ihren Müttern mitlaufen zu lassen und nicht separat halten und tränken zu müssen. Zudem kann die Oberburgerin die gute gesundheitliche Verfassung bestätigen: «Bisher habe ich für die Kälber null Franken für den Tierarzt ausgeben müssen und Antibiotika sind für mich als Landwirtin ein Fremdwort», sagt sie. Gerade den Ziegen kommt diese Haltungsform entgegen, denn sie pflegen eine sehr ausgeprägte Mutter-Jungtier-Beziehung. Oft könne sie beobachten, dass bereits jährige Jungtiere noch bei ihrer Mutter liegen, sagt die Ziegenliebhaberin.
Ariane Gerber Popp, die ihre Tiere von März bis November im Vollweidesystem hält, erwähnt, dass für die MUKA-Haltung genügend Platz vorhanden sein muss und sie einen engen Bezug zu den Tieren verlangt. «Man muss die Tiere genau beobachten und dem Akt des Melkens sollte Bedeutung beigemessen werden», sagt sie. Die Kleinen dürfen ad libitum trinken und was übrigbleibt, wird gemolken.
Sie verarbeitet einen Teil der Kuh- und Ziegenmilch zu verschiedenen Käsesorten, Joghurt, Quark oder Sauerrahm und vermarktet die Milch, die Milchprodukte und das Fleisch ihrer Tiere selbst. «Für mich liegt der Knackpunkt im Fleischpreis», sagt Ariane Gerber Popp. Die Milch, die man nicht verkaufen könne, da sie von den Jungtieren getrunken wird, müsse in Fleisch umgewandelt werden. Ihre männlichen Kälber werden im Alter von sechs Monaten in die nahe gelegene Metzgerei gebracht und dann vom Bruder der Landwirtin, einem Koch und Metzger, zu Fleischstücken für die Spitzenküche verarbeitet, für die auch ein entsprechender Preis verlangt werden kann. «Für Rohmilch und pasteurisierte Milch als Grundnahrungsmittel finde ich es nicht in Ordnung, hohe Preise zu verlangen, für verarbeitete Produkte schon», sagt Ariane Gerber Popp.
Cornelia Buchli von der Fachstelle MuKa hingegen plädiert dafür, mit einem höheren, fairen Milchpreis die Einbussen wegen der geringeren Milchmenge auszugleichen. Ein Wunsch wäre die MUKA-Produkte über einen Grosshändler vertreiben zu können. Denn die Nachfrage wäre vorhanden, ist sie sich sicher. Bisher wird ein Grossteil der Milch aus MUKA-Haltung gemeinsam mit Milch aus herkömmlicher Haltung verarbeitet und kann deshalb auch nicht zu einem höheren Preis verkauft werden.
Um diesem Problem Abhilfe zu schaffen, wurde mit einem Crowdfunding eine spezielle MUKA-Käserei als Aktiengesellschaft auf die Beine gestellt. In der alten Käserei, die in Vechigen bei Worb im Kanton Bern erworben werden konnte, ist der Umbau mittlerweile abgeschlossen und die Probeproduktion angelaufen. Eine solche spezifische MUKA-Käserei kann dazu beitragen, dass die Landwirtinnen und Landwirte ihre Milchproduktion weniger über andere Betriebszweige querfinanzieren müssen, auswärtiges Einkommen generieren müssen oder auf Spenden und Tierpatenschaften angewiesen sind, um sich diese tierfreundliche Haltung leisten zu können.
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