Die tierische Produktion
Während der Milchmarkt von stabilen Preisen und einem konstanten Kuhbestand geprägt war, hatten Alpbetriebe mit den F...
LID: Sie helfen seit 8 Jahren die berufliche Ausbildung im Kaukasus zu fördern und ein duales Berufsbildungssystem aufzubauen. Wie schätzen Sie das landwirtschaftliche Produktionspotenzial in der Region ein?
Robert Lehmann: Es gibt in vielen Regionen Land, das noch besser genutzt werden könnte. Zuverlässige Zahlen zum Umfang dieser Flächen sind nicht vorhanden. Grosses Potenzial gibt es einerseits in der Milch- und Weidefleischproduktion und andererseits im Obst- und Nussanbau, wo auch zunehmend Investoren aus Westeuropa und der Schweiz in Erscheinung treten. Expertise der Schweiz ist insbesondere in der Rindviehhaltung und in der Milchverarbeitung gefragt, wo auch in beiden Ländern die Berufsbildung unterstützt wird. Insbesondere Milch und Käse erzielen sehr gute Preise und sind deshalb attraktive Produktionszweige. Mit angepassten Rindviehrassen wie zum Beispiel Braunvieh und verbessertem Weidemanagement kann hier noch viel erreicht werden. Für den Export kommt nebst den Nüssen in erster Linie die Weinproduktion in Frage. Der Südkaukasus gilt als Ursprungsland des Weins und hat mit einer langen Tradition der Kelterung in Amphoren auch heute noch ganz spezielle Weine anzubieten.
In der Schweizer Entwicklungspolitik wird oft darüber diskutiert, dass die Hilfe prioritär in den ärmsten Ländern eingesetzt werden sollte. Die Länder im Kaukasus gehören nicht zu den ärmsten. Entfaltet die Hilfe dort eine grosse Wirkung?
Robert Lehmann: Ein wichtiger Aspekt der offiziellen Entwicklungspolitik im Südkaukasus ist sicher die geografische Nähe zu uns und die damit verbundene Migrationsfrage. Es gibt in beiden Ländern viele Menschen, die nach unseren Massstäben weit unter der Armutsgrenze leben. Wenn diese Menschen dank Ausbildung und verbesserten Produktionsmethoden eine Zukunft in ihrer Heimat sehen, werden sie ihr Glück nicht im Ausland suchen. Die Schweiz unterstützt auch den Demokratisierungsprozess und die Friedensförderung, was beides ebenfalls der Abwanderung Richtung Europa entgegenwirkt.
…von der Ausbildung her Agronom mit Berufserfahrung auf allen Stufen der Berufsbildung, war 10 Jahre an der HAFL in Zollikofen verantwortlich für die Zusatzausbildung Berufsschullehrperson (Minor Unterricht und Beratung). In dieser Funktion wurde er als Experte zum Aufbau eines Ausbildungsgangs für Lehr- und Beratungspersonen in Georgien beigezogen. Daraus ergaben sich Mandate in verschiedenen Projekten der Berufsbildung und zu landwirtschaftlichen Fragen in Georgien und in Armenien.
Teil 1 des Interviews findest du hier.
«Die Schweiz unterstützt den Demokratisierungsprozess und die Friedensförderung, was beides der Abwanderung Richtung Europa entgegenwirkt.»
Gibt es eine organisierte landw. Interessenvertretung, welche sich für die Anliegen der Bauern einsetzt?
Robert Lehmann: In Georgien hat sich in den letzten Jahren die Georgian Farmers Association recht gut etablieren können. Vielleicht ist es nicht von ungefähr, dass der Vizedirektor Rati Kochlamazashvili bei Bernhard Lehmann an der ETH seinen Masterabschluss machte. Wir müssen uns allerdings schon bewusst sein, dass die beiden Länder noch nicht eine so reife Demokratie sind, wie wir es kennen und dass einzelne starke Persönlichkeiten - in andern Ländern spricht man von Oligarchen - oft ihre individuellen Interessen mit viel Nachdruck vertreten können.
Wie sind die Marktverhältnisse? Stehen die Bauern einfach mächtigen Abnehmern, z.B. internationalen Konzernen gegenüber oder sind die Bauern genossenschaftlich organisiert?
Robert Lehmann: In beiden Ländern sind rund 40-50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Das erklärt auch die Bedeutung, welche die Entwicklungszusammenarbeit der Landwirtschaft beimisst. Der Anteil am offiziellen Bruttoinlandprodukt beträgt aber nur ca. 15%, weil die ganze Selbstversorgung und der Tauschhandel in den Dörfern nicht erfasst wird. Das heisst, dass die Landwirtschaft eine viel grössere Bedeutung hat als am Markt ersichtlich ist. Vieles wird im Kleinen verkauft und zugekauft. Für die Marktbelieferung in grössere Orte sind es meistens Händler, welche in den Dörfern Produkte nach Bedarf und zu Tagespreisen kaufen. Markmächtige Grossabnehmer gibt es kaum. Käsereien sind Privatbetriebe, welche die Milch zukaufen oder teilweise auch selbst produzieren. Soweit ich das überblicken kann, sind genossenschaftliche Organisationen selten. Es ist aber durchaus ein Anliegen für eine bessere Vermarktung von gewissen Produkten noch vermehrt Genossenschaften oder Vermarktungsgemeinschaften zu gründen.
Wem gehört der Boden? Sind die Bewirtschafter durch ein Boden- und Pachtrecht geschützt?
Robert Lehmann: Vor der Sowjetzeit war das meiste Land im Grossgrundbesitz mit Arbeitskräften, die in den Dörfern zusätzlich ihre Gärten bewirtschafteten. Diese Grossbetriebe wurden in Kolchosen überführt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde das Land an die Gemeinden zur Verwaltung und Übertragung der Eigentumsrechte übergeben. In der Regel haben die Gemeinden das kultivierbare Land an die ehemaligen Kolchosearbeiter verteilt mit je nach Region 1 bis 1,8 ha Land zu Eigentum. Heute gibt es auch grössere Betriebe, die das Land von den Gemeinden oder von ehemaligen Kolchosearbeitern kaufen oder pachten konnten. Land, das nicht mehr vom Eigentümer genutzt wird, wird oft nur von Jahr zu Jahr vergeben, weil keine Mindestpachtdauer vorgeschrieben ist. Für eine nachhaltige Nutzung und Planung ist das nicht förderlich und sollte deshalb auch auf die politische Agenda gesetzt werden. Das Weideland blieb grundsätzlich im Besitz der Gemeinden und wurde zur allgemeinen Nutzung freigegeben. Vor allem in der Nutzung des Gemeindelandes gibt es in beiden Ländern viel Verbesserungspotential. Eine Herausforderung dazu ist nebst dem fehlenden Fachwissen auch die erforderliche Zusammenarbeit unter den Kleinbauern. Wir hoffen, dass die Alpgenossenschaften der Schweiz hier ein Vorbild sein können.
Armenien zählt über 300'000 kleine Subsistenz-Landwirtschaftsbetriebe. Ist das eine Frage der Generationen oder der wirtschaftlichen Möglichkeiten, damit diese Zukunft haben?
Robert Lehmann: Bei meinen ersten Besuchen im Land habe ich gedacht, hier müsste langsam ein Strukturwandel zu marktorientierteren Familienbetrieben erfolgen. In der Zwischenzeit habe ich realisiert, dass diese Subsistenzbetriebe in einem Land mit zu wenig Arbeitsangeboten und ohne existenzsichernde Altersversorgung durchaus eine wichtige Funktion haben und es gesamtwirtschaftlich betrachtet kaum sinnvoll ist, einen stärkeren Strukturwandel zu fördern. Ein typisches Familienmodell in den ländlichen Regionen sieht so aus, dass die junge Generation im Alter von ca. 18 bis 50 Jahren einer Arbeit in Stadtnähe oder auch im Ausland, oft in Russland, nachgeht und oft auch nicht auf dem Land bei den Eltern in den Dörfern lebt. Die Eltern bewirtschaften den Kleinbetrieb und können so ohne grosse Rente mit Selbstversorgung und kleinen Marktprodukten wie Eier, Gemüse, Honig usw. ihre Existenz sichern. Wenn sie 70 oder 75 werden, kommt die junge Generation zurück, die mit 45 oder 50 Jahren auf dem Arbeitsmarkt auch weniger attraktiv ist, führt den Kleinbetrieb weiter und kann die Eltern bis zum Ableben begleiten.
Bild 1: Georgien gilt als die Wiege des Weinbaus, seit über 8000 Jahren werden Rebberge bewirtschaftet. (mre)
Bild 2: Die duale Berufsbildung ist in Georgien erst in den Anfängen. An der SASC kann nun in einem vorbildlichen Landwirtschaftsbetrieb und in einer Käserei auch praktisch gelernt werden. Die Unterstützung durch Kollegen des Plantahofs und die Lehrmittel der schweizerischen Edition-lmz bringen moderne Unterrichtsmethoden an die Schule. (mre)
«Eine Herausforderung ist nebst dem fehlenden Fachwissen die erforderliche Zusammenarbeit unter den Kleinbauern. Wir hoffen, dass die Alpgenossenschaften der Schweiz hier ein Vorbild sein können.»
So ist es aber schwierig für Junge Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln.
Robert Lehmann: Das oben gesagte soll nicht heissen, dass die Landwirtschaft kein Potenzial für marktorientierte grössere Familienbetriebe hat. Für interessierte Junge gibt es Chancen in der Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Je nach Situation auf dem Arbeitsmarkt werden auch nicht alle Subsistenzbetriebe von den Nachfolgern weitergeführt. Es gibt immer wieder Beispiele von Pionierbetrieben, die in der Milch- oder Weidefleischproduktion oder auch im Obst- und Gemüsebau wachsen können und sehr erfolgreich arbeiten. Ein Ziel unserer Projekte ist, diese in die duale Ausbildung einzubinden und so Jugendlichen eine Basis zu geben, um selber unternehmerisch aktiv zu werden oder als ausgebildete Fachleute in grösseren Betrieben verantwortungsvolle Funktionen zu übernehmen.
Gibt es Beratungsangebote, die speziell auf die zahlreichen Kleinbetriebe ausgerichtet sind?
Die Kleinbetriebe betreffend bin ich tatsächlich der Ansicht, dass diese noch stärker adressiert werden sollten. Ein Ziel des aktuellen Berufsbildungsprojekts ist auch, die Kompetenzen der Lehrpersonen zu fördern, so dass diese vermehrt Weiterbildungskurse für diese Zielgruppe anbieten können. Zudem wird im kommenden Jahr erstmals eine duale Ausbildung mit einem Heimlehrjahr nach dem früheren Schweizer Modell angeboten. Damit erhoffen wir uns, dass auch jüngere Dorfbewohner, die nicht abwandern, neue Kenntnisse in der Landwirtschaft erwerben und diese in die Dörfer bringen werden.
Auf einer Reise diesen Herbst haben sie für eine Gruppe von Fachpersonen einen Austausch mit Akteuren in der internationalen Zusammenarbeit mit Schwerpunkt in Berufsbildung und Landwirtschaft durchgeführt. Welche Bilanz ziehen Sie?
Robert Lehmann: Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren sehr positiv und einige Kontakte werden auch nach der Reise weitergehen. Mein Hauptanliegen ist die Förderung des gegenseitigen Verständnisses und für die Schweizer auch einen vertieften und persönlichen Einblick in ein viel instabileres Umfeld als wir uns das gewohnt sind. Eine solche Reise ist keine Einbahnstrasse. Wir können gegenseitig voneinander immer wieder etwas lernen. Die Fragen aus externer Sicht waren sowohl für die Besuchten wie auch für mich, nach acht Jahren Arbeit in diesen Ländern, immer wieder sehr wertvoll.
Ist das Potenzial bereits ausgeschöpft?
Robert Lehmann: Ich habe bereits eine Liste mit weiteren Interessierten und gehe davon aus, auch noch weitere Reisen in diese vielschichtigen interessanten Länder mit vertieften Kontakten zu Berufsschulen, Landwirten und Käsereien zu organisieren.
Welche nächsten Projekte haben Sie im Auge?
Ich stehe zunehmend nicht mehr an vorderster Front, werde aber oft für kürzere Beratungen und Vermittlung von Kontakten zu Experten in der Schweiz oder in Georgien/Armenien angefragt. Es gibt viel zu tun. Befriedigung geben mir vor allem die persönlichen Kontakte und der Austausch mit den Menschen in diesen Ländern.
«Die Landwirtschaft hat eine viel grössere Bedeutung als am Markt ersichtlich ist. Grossabnehmer gibt es kaum.»
Bild 1: Die grosse Bedeutung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass man die Expertise aus der landwirtschaftlichen Bildung der Schweiz suchte und in den letzten Jahren für vieles zum Vorbild genommen hat. Heute werden 80% der Milchprodukte in Georgien importiert. Im Bild der neue Melkstand der SASC, Sarkineti. (mre)
Bild 2: Der Kleinbetrieb von Anjela und Avetik beim College Stepanavan. Armenien verfügt über 4 Kühe, 1 Mutterschwein, Ferkel, Hühner, Hof-Käserei und Gastfreundschaft. 2 Söhne & Familien sind in Russland kommen in den Ferien zu den Grosseltern. 👍. In Armenien gibt es 300’000 solche Subsistenzbetriebe. In einem Land mit zu wenig Arbeitsangeboten und ohne existenzsichernde Altersversorgung erfüllen diese eine wichtige Funktion. (mre)
Fachreise Kaukasus
Interessierte an einer Kaukasus-Fachreise mit Besuchen von Berufsfachschulen, Landwirtschaftsbetrieben und Käsereien können sich bei Robert Lehmann melden.
Werner Ryser (* 1947 in Winterthur) ist ein Schweizer Schriftsteller, der in Basel lebt. Er verfasste eine lesenswerte, vierteilige Romanserie und zeigt wie eine Langnauer Bauernfamilie nach Georgien auswandert und in die Wirren von Krieg und Revolution gerät in der Zeit zwischen 1850 bis 1930. Eindrücklich fallen die Porträts der Hauptpersonen aus, und eindrücklich geraten die Beschreibungen der georgischen Landschaft mit ihren Steppen, fruchtbaren Ebenen und Wäldern, den Eisriesen im Grossen Kaukasus und den gnadenlosen Winterstürmen.
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18. Februar 2025, 9-12 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE
18. Februar, 13.30 bis 16.30 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE.
8. Mai, 13.30 bis 16.30 Uhr, Zelgli-Träff, Biezwil SO.
4. Februar 2025, 9 bis 12 Uhr, Inforama Rütti, Zollikofen BE
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